Der “Brief an den Vater”, den Franz Kafka 1919 schrieb, aber nie abschickte, gilt als einer der bedeutendsten Briefe der Literaturgeschichte. Er ist nun endgültig im Besitz des Deutschen Literaturarchivs in Marbach.
Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach hat einen historisch bedeutsamen Brief des Schriftstellers Franz Kafka (1883-1924) an seinen Vater erworben. Der “Brief an den Vater”, den Franz Kafka 1919 in Schelesen bei Prag schrieb, zähle heute zu den ikonischen Werken der modernen Weltliteratur, teilte das Literaturarchiv am Donnerstag in Marbach mit.
Das berühmte Manuskript habe das Archiv jetzt – vermittelt durch den Antiquar Jörn Günther – vom Verleger Thomas Ganske erwerben können. Ganske war seit 1983 im Besitz des Manuskripts, das 100 Seiten im Oktav-Format umfasse und sehr gut erhalten sei.
Der “Brief an den Vater” erreichte seinen Empfänger nicht – denn Kafka hat ihn niemals abgeschickt. Nach einem Streit mit seinem Vater über Kafkas geplante Heirat mit der Sekretärin Julie Wohryzek, rekapituliert der Sohn sein Verhältnis zu seinem Vater, der ihm sein Leben lang übermächtig und erdrückend erschien.
Erst als Kafka und sein Vater längst gestorben waren, wurde der Brief 1952 durch den Erstdruck in der Literaturzeitschrift “Neue Rundschau” bekannt. Seitdem gilt der Brief als ein literarisches Meisterwerk und Schlüssel zum Verständnis von Kafkas Leben und Werk.
“Wie ein guter Anwalt trägt er Anklagepunkt um Anklagepunkt zusammen und enthüllt immer neue seelische Abgründe”, so das Literaturarchiv. Inwieweit sein Porträt auf den wirklichen Vater zutrifft, sei umstritten. Bereits in seiner 1913 veröffentlichten Novelle “Das Urteil” rechnete ein Sohn mit seinem Vater ab.
Nach einigen Zwischenstationen kam der Brief 1982 aus Privatbesitz in das Münchner Antiquariat Ackermann, wo ihn Ganske erwarb. Im Jahr 1984 übergab Ganske den Brief bereits als Leihgabe dem Deutschen Literaturarchiv (DLA). Nun erwarb dieses das historische Schreiben dank der Unterstützung unter anderem der Kulturstiftung der Länder und des Landes Baden-Württemberg.
Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, erklärte, es handele sich um einen der bedeutendsten Briefe der Literaturgeschichte. Baden-Württembergs Kunstministerin Petra Olschowski (Grüne) sagte: “Diese einzigartige Erwerbung ist ein Höhepunkt in der Marbacher Sammlungsgeschichte.” Zurzeit ist der “Brief an den Vater” im Marbacher Literaturmuseum der Moderne in der Ausstellung “Kafkas Echo” zu sehen, die bis 22. Juni 2025 verlängert wurde – wegen des großen Publikumsinteresses.