Der wunderliche Krieg

Wenn am Ostermorgen das „Christ ist erstanden“ erklingt, dann ist Ostern. Martin Luther hat den kurzen Text ausgedeutet und ein weiteres Auferstehungslied geschaffen: „Christ lag in Todesbanden“

Azaliya (Elya Vatel) - stock.ado

„Aller Lieder singt man sich mit der Zeit müde. Aber das ,Christ ist erstanden‘ muss man alle Jahre wieder singen“, so sagte Martin Luther in seinen Tischreden. Diese Einschätzung hat wohl viel mit der Idee der Befreiung zu tun, die schon im Alten Testament vorherrscht.

„Christ ist erstanden“ ist das vielleicht älteste deutsche Kirchenlied, das noch heute gesungen wird. Fürs Mittelalter erstaunlich, dass Geistliche mit ihrer lateinisch vorgetragenen Liturgie erlaubten, dass sich einfaches Volk am Gottesdienst beteiligt, zunächst mit einem „Kyrie eleison“ als Antwort. Ein Prager Dokument aus dem Jahr 973 nennt leicht herablassend das seit alters gesungene Kyrie-eleison des Volkes – als letzte Stufe nach den Klerikern und den Adligen. Daraus haben sich die so genannten „Leisen“ entwickelt, vierzeilige Kirchenlieder mit angehängtem „Kyrie eleison“ oder meistens verkürzt „Kyrieleis“.

Beinahe alle Leisen sind als deutsche Einschübe zu lateinischen Liturgien entstanden. Die Osterleise „Christ ist erstanden“ wurde als muttersprachliche Antwort auf die Ostersequenz „Victimae paschalis laudes immolent Christiani“ („Dem österlichen Opfertier sollen Lobgesänge weihen die Christen“) gesungen und benutzt auch zum Teil deren melodisches Material. „Christ ist erstanden“ ist eines der sechs Lieder in unserm Gesangbuch, in denen alle Strophen auf „Kyrieleis“ enden. Luther hat es 1529 in sein Gesangbuch aufgenommen.

Aber vor allem widmete er sich dem altkirchlichen Osterlied „Victimae paschalis“, sicher weil es unübertroffen das Ostergeheimnis prägnant zusammenfasst. Aus dem lateinischen Lobgesang wurde das Lied „Christ lag in Todesbanden“. Und er „bessert und verdeutscht“ es, wie er einmal sagte. Schon die Form zeigt Luthers Meisterschaft: Sein Lied hat nun sieben Strophen, jede Strophe hat sieben Zeilen, jede Zeile hat sieben Silben. Und inhaltlich erst: In Strophe eins ist der Tod Jesu Vergangenheit. Jesus ist auferweckt, er lebt wieder und bringt uns das Leben.
Wir haben’s nötig, denn durch unsre Sünde „kam der Tod so bald“ (Strophe 2) — das altdeutsche „bald“ bedeutet „mächtig, kühn“, wie es heute noch als Namensbestandteil vorkommt.

Doch dann greift Gottes Sohn ein, und nur noch die äußere Gestalt bleibt vom ewigen Tod, der Knochenmann mit einer stumpfen Sense, kaputt, abgebrochen, verloren: von 1. Korinther 15,55 („Tod, wo ist dein Stachel?“) in Strophe 3.

Luther verschiebt die Lyrik und Dramatik seiner Vorlage (Frage und Antwort, Jünger, Maria Magdalena, Engel) noch mehr ins Theologische, indem er das Motiv des wunderlichen Zweikampfs im Original („Mors et vita duello conflixere mirando“) in einem großartigen Bild beschreibt: den Kampf von Tod und Leben. Zwei Mächte ringen miteinander, und eine frisst die andere auf – wie die mageren Kühe die fetten im Traum des Pharaos in der Josefsgeschichte. Dieses Bild in unserm Lied besagt, dass Jesu Tod unseren Tod gefressen und erledigt hat. Strophe 4 in der Mitte des Liedes ist der Höhepunkt des Liedes.

Dann stellt uns Luther in die Befreiungstradition des Volkes Israel, das in der Nacht, mit der der Exodus aus der Sklaverei begann, das Osterlamm geschlachtet und mit dessen Blut die Türpfosten bestrich (Strophe 5). Exodus und Golgatha: Jesus wird „das recht Opferlamm“ genannt. Wir feiern ein Fest (Strophe 6), Jesus „ist selber die Sonne“, die für uns am Ostermorgen aufgeht und das Ende der Sündennacht markiert.

Am Schluss wird in Strophe 7 von Luther noch einmal die jüdische Tradition aufgerufen: Wir werden eingeladen zum „rechten Osterfladen“, heute modernisiert zum „süßen Brot“, zum Brot ohne Sauerteig, den Matzen, wie wir sie als Hostien im Abendmahl bekommen.

Wir dürfen leben, weil Gott uns liebt – so können wir Ostern feiern. Dazu gehört immer auch Musik. Weil sie zu Herzen geht und die Auferstehung feiert.