“Der wilde Roboter” – Famoser Trickfilm über Solidarität
“Der wilde Roboter” ist ein grandios animierter Trickfilm über einen Roboter, der auf einer einsamen Insel ein Gänseküken großziehen will.
Ein Roboter ist, technikphilosophisch betrachtet, ein wandelnder Selbstwiderspruch: ein Medium der Naturbeherrschung, das Natur zugleich nachahmt. Insbesondere in der popkulturellen Imagination wird das Werkzeug, das der Mensch erschafft, um sich den Unbill seiner natürlichen Umgebung vom Leib zu halten, selbst zur Kreatur. Und in Gestalt des vielleicht berühmtesten Popkultur-Roboters R2D2 aus “Star Wars” sogar zu einer gnadenlos niedlichen Kreatur, einem mechanischen Tierbaby, das wie ein Küken piepst und mit kalter Präzision Beschützerinstinkte triggert.
Der Animationsfilm “Der wilde Roboter” geht noch einen Schritt weiter. Denn wild ist der Roboter nicht etwa im Sinne von brutal und todbringend, sondern in dem, dass er nicht der menschlichen Zivilisation, sondern der Natur zugehört. Dieser Roboter, der den Namen Roz trägt, ist eine Figur wie aus dem Märchen oder dem Mythos. Wie Hänsel und Gretel wird er im Wald ausgesetzt, wie Romulus und Remus freundet er sich mit Tieren an. Weil er aber nicht wie ein Menschenjunges auf die Welt kommt, sondern bereits programmiert wurde, verläuft sein Bildungsroman anders als in den alten Erzählungen: Roz muss nicht nur lernen, sondern auch verlernen.
Was Roz verlernen muss, ist vor allem seine roboterhafte Effizienz. Als aus einem Ei, das infolge eines Missgeschicks in seine mechanischen Hände fällt, ein Wolleball schlüpft, der Roz mit großen Augen anblickt, merkt der Roboter schnell, dass dem kleinen Flauschgeschöpf mit rationaler Problemlösungskompetenz nicht beizukommen ist. Ab jetzt regiert, erklärt der um griffige Metaphorik nie verlegene Film, nicht mehr das Elektronengehirn, sondern das Roboterherz. Und in dem haben viele Tiere Platz, wie sich bald herausstellt.
Ganz besonders ein Fuchs namens Fink, der Roz zuliebe darauf verzichtet, den Wolleball zu fressen. Stattdessen reift er zum Ersatzvater heran und hilft mit, das Waisenküken fürs Überleben in einer Natur fit zu machen, die in dem Film weniger harmonisch ist als in den meisten anderen Hollywood-Animationsfilmen. Denn hier fressen Tiere sich gegenseitig. Es sei denn, sie treffen auf einen Roboter, der ihnen die vermeintlich menschliche Tugend einer alle biologischen Grenzen transzendierenden Solidarität nahebringt.
Roz, der Maschinenmensch, der die liebende Mutter in sich entdeckt und ganz nebenbei eine friedliche, proto-zivilisatorische und Spezies-übergreifende Urgesellschaft ums Lagerfeuer versammelt, ist eine famose Hauptfigur für einen famosen Film. Rein visuell ist der aus beweglichen Gliedmaßen sowie runden Kopf- und Rumpfteilen zusammengesetzte Roboter die am wenigsten interessante Figur. Das Highlight sind in dieser Hinsicht eindeutig die animierten Tiere. Allein der voluminöse, plüschige Fuchsschwanz ist ein plastisches Wunderwerk.
Dabei verschreibt sich “Der wilde Roboter” keineswegs dem schnöden Fotorealismus. Insbesondere dank der stimmungsvollen Hintergründe lässt der Film bisweilen sogar an animierte Aquarellmalerei denken. Oder an den klassischen, handgemachten Animationsfilm.
Tatsächlich nähert sich die fortgeschrittene digitale Animationstechnik in mancher Hinsicht wieder dem analogen Animationshandwerk an, wie Regisseur Chris Sanders kundtut. Die digitalen Künstler programmieren nicht nur, sondern malen auch wieder, freilich mit virtuellen Pinseln. “Der wilde Roboter” setzt sich wohltuend von den viel zu glatten, aufgeräumten Welten ab, die die meisten anderen Hollywood-Animationsfilme entwerfen.
Es wäre ein noch schönerer Film geworden, wenn er sich etwas mehr Zeit dafür genommen hätte, um seine eigene Welt jenseits der Drehbuchmechanik zu erkunden. Die tierischen Nebenfiguren, etwa eine ebenfalls umwerfend animierte Beutelrattenfamilie, tauchen stets nur kurz als Stichwortgeber auf. Figuren wie das legendäre Sidekick-Gespann Timon und Pumbaa aus “König der Löwen”, die sich mit Leichtigkeit von der Haupthandlung um Simba, Mufasa und Scar emanzipieren und zu den heimlichen Stars des Films werden, sucht man im zeitgenössischen Animationsfilm vergebens, der immer etwas zu übereifrig Handlungsstränge und Problemzusammenhänge anhäuft.
Schade ist außerdem, dass in einem Film, der lange auf echte Antagonisten verzichtet, am Ende doch noch eine ganze Horde von Bösewichtern die Waldbewohner heimsucht und der Geschichte – zumindest zeitweise – ihre charmante, Ironie-bewusste Lieblichkeit austreibt. Ganz von den Zwängen des aktuellen Blockbusterkinos kann sich “Der wilde Roboter” doch nicht befreien. Dem emotionalen Kern der Geschichte um einen Roboter, der sich die eigene Roboterhaftigkeit wegprogrammiert, können solche atmosphärischen Störungen zum Glück aber nur wenig anhaben.