Pflege und Urlaub – geht das? Viele Angehörige verzichten auf Auszeiten aus Sorge um den Pflegebedürftigen. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich Erholungsinseln zu schaffen.
Eine Woche Urlaub in den Bergen – es ist schon zwei Jahre her, dass die 58-jährige Ärztin Karin Bauer* zuletzt ein paar Tage ausspannen konnte. Mit schlechtem Gewissen. Damals kam ihr damals 86-jähriger Vater noch halbwegs alleine zurecht. Inzwischen hat der Senior eine fortschreitende Demenz und wird von einer 24-Stunden-Kraft betreut. Dennoch sieht die sorgende Tochter, die mit im Haus des Vaters lebt, für sich keine Möglichkeit eines Tapetenwechsels.
“Ich hätte dann keine Ruhe”, sagt die leitende Klinikärztin. Ihr Vater sei mitunter schwierig im Umgang, sei es mit ihm fremden Personen vom Pflegedienst oder seiner polnischen Betreuerin. Wenn ihm etwas nicht passe – von der Zubereitung des Mittagessens bis zur Körperfülle der Haushaltshilfe -, “dann sagt er das auch ganz direkt, und der Haussegen hängt wieder schief”. Auch wenn ihr die Sorge um den alten Mann neben ihrer Berufstätigkeit oft die letzte Kraft abverlangt – Karin Bauer hat sich an die Launen ihres pflegebedürftigen Vaters gewöhnt.
Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten einer vorübergehenden Entlastung, etwa durch eine mehrwöchige Kurzzeitpflege in einer Pflegeeinrichtung. Laut dem BKK Dachverband für 65 Betriebskrankenkassen (BKK) haben 2024 gut eine halbe Million Pflegebedürftige dieses Angebot in Anspruch genommen. Wegen der höheren Kosten könnten sich die Menschen aber weniger Pflegetage leisten, heißt es auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Zudem gebe es weniger solche Angebote, und auch der Fachkräftemangel spiele eine Rolle.
“In vielen Regionen gibt es viel zu wenig Plätze”, beobachtet Daniela Brüker-van Heek vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA). Gerade während der Urlaubszeit gebe es Engpässe – “man sollte viele Monate im Voraus anfragen”. Zudem kommen auch Menschen in Akutsituationen bei Seniorenheimen in Kurzzeitpflege, etwa wenn ein Angehöriger plötzlich ausfällt oder sie Übergangspflege im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung benötigen.
Brüker-van Heek rät deshalb, bei der Urlaubsplanung nicht nur in Pflegeheimen nachzufragen, sondern auch Ausschau zu halten nach Einrichtungen, die sich auf Kurzzeitpflege spezialisiert haben. Dennoch bringe die Pflege eines Angehörigen “viele Unwägbarkeiten mit – man kann nicht absehen, wie die Situation in einem halben oder einem Jahr sein wird”.
Etwas gelassener sieht das die Ahlener Pflegeberaterin Monika Kindel. Aus ihrer Erfahrung gibt es außerhalb der Sommerferien genügend Kurzzeitpflegeplätze. Kindel rät pflegenden Angehörigen, sich vor der Urlaubsplanung rechtzeitig über Optionen beraten zu lassen – und sich nicht auf die Kurzzeitpflege zu fokussieren. “Viele kommen auch über die Verhinderungspflege in einer Wohngruppe unter.”
Dass es eine mobile Alternative zur Kurzzeitpflege gibt, ist kaum bekannt. Der gemeinnützige, im nordrhein-westfälischen Telgte ansässige Reiseveranstalter “Urlaub und Pflege” bietet seit 1999 solche einwöchige Touren für Menschen mit Hilfs- und Pflegebedarf bis zum Pflegegrad 5 an, die über die Verhinderungspflege abgerechnet werden können. Es sei hierzulande das einzige Angebot dieser Art, sagt Vereinsgründerin Susanne Hanowell.
Besonders Norderney und Borkum seien als Reiseziele beliebt – “da losen wir die Teilnehmer inzwischen aus”. Im Programm sind auch spezielle Kleingruppenreisen für demenziell erkrankte Menschen – mit ruhigem Ausflugsprogramm und einer familiären, geselligen Atmosphäre. Durch die rund um die Uhr organisierte professionelle Pflege und 1:1-Betreuung durch Ehrenamtliche können auch Pflegebedürftige in dieser Zeit ausspannen.
Im vergangenen Jahr hätten rund 30 Prozent der 140 Reiseteilnehmer dieses Angebot im Rahmen der Kurzzeitpflege genutzt, erklärt Hanowell. Besonders bei Paaren mit einer pflegebedürftigen Person sei eine solche Reise beliebt. Denn der mitreisende Partner könne dabei sein – und trotzdem abschalten. Das aber hat aber seinen Preis: Er liegt pro Woche meist im mittleren vierstelligen Bereich. Damit so eine Reise nicht am Geldbeutel scheitert, bezuschusst ein Förderverein die Reisen für Pflegebedürftige mit geringem Einkommen.
Kurzzeitpflege, Wohngruppe, eine Pflege-Reise – für Karin Bauer kommen all diese, mit einem Ortswechsel verbundenen Angebote für ihren Vater nicht in Betracht. “Als er neulich wegen Herzproblemen ein paar Tage ins Krankenhaus musste, kehrte er von dort total verwirrt zurück nach Hause”, erinnert sich die alleinstehende Frau. Er sei mit der anderen Umgebung überhaupt nicht klargekommen.
Pflegeberaterin Kindel kennt das Phänomen. Gerade Menschen mit Demenz bräuchten ein vertrautes Umfeld, um sich sicher zu fühlen – die eigene Wohnung, Bezugspersonen. Wenn ein Mensch etwa durch den Urlaub der Pflegeperson in eine stationäre Kurzzeitpflege komme, rät Kindel, weitere vertraute Bezugspersonen einzubinden. “Die Putzhilfe oder eine Einzelbetreuungskraft sollte die Person dann in der Zeit in der Einrichtung besuchen und so eine Verbindung zum Gewohnten herstellen.”
Auch das Lieblingskissen oder das Bild des urlaubenden Familienmitglieds – “wenn es derjenige noch erkennt” – können das Eingewöhnen erleichtern; “das ist aber nicht das Entscheidende”, sagt die Pflegeberaterin. Das Pflegepersonal brauche “zwei, drei Tage Zeit, um die persönlichen Bedürfnisse der Person kennenzulernen – es muss lernen, wie sie tickt”. Und natürlich brauche auch der alte Mensch Zeit, um in der neuen Umgebung anzukommen.
“Man darf dem Menschen auch was zumuten”, sagt Kindel. Alte Menschen hätten oft noch “Restressourcen” und könnten mitunter auch etwas Positives aus der neuen Umgebung ziehen. Der Tipp der Pflegeberaterin: “Vertrauen Sie darauf, dass das Bestmögliche getan wird. Alles andere wird der alte Mensch überleben – ohne diese Haltung wird es für die Angehörigen Stress.”
Auch Karin Bauer konnte im Urlaub kaum abschalten. Hatte sie ihrem betagten Vater doch versprochen, dass er nie in ein Heim kommen würde – auch nicht für eine Woche. KDA-Expertin Brüker-van Heek kennt noch eine andere Option: die Verhinderungspflege.
Wer verreisen möchte, kann eine Ersatzpflegeperson beantragen. Diese kann für eine oder mehrere Wochen ins vertraute häusliche Umfeld kommen und sich dort um den zu Pflegenden kümmern. “Das können auch erwachsene Kinder oder andere vertraute Personen sein”, so Brüker-van Heek. Diese können unter bestimmten Voraussetzungen und bis zu einer bestimmten Höhe auch einen Verdienstausfall für diese Zeit geltend machen.
Wenn auch das für pflegende Angehörige nicht möglich ist, sei Selbstfürsorge im Alltag umso wichtiger, sagt Brüker-van Heek. “Man sollte auch im Alltag kleine Auszeiten einbauen – auch um aus der beaufsichtigenden Rolle wegzukommen.” Weiter Hobbies nachgehen und Freunde treffen, auch das hält die Fachfrau für notwendig. Denn Pflege sei immer noch ein Tabu – “Freunde ziehen sich zurück”.
Pflegeberaterin Kindler rät, sich im Alltag stundenweise Entlastung zu suchen. Das könnten Unterstützungsdienste für Menschen mit Demenz sein, aber auch eine Nachbarin, die für ein paar Stunden auf den dementen Menschen aufpasse: “Das ist eine viel zu wenig gedachte Alternative.” Pflegende Angehörige sollten sich dann sagen, “an diesen Nachmittagen mache ich Urlaub – und tue dann nur Dinge, die mir guttun”.
Karin Bauers Vater bekommt inzwischen regelmäßig Besuch von einer Nachbarin. In den freien Stunden kann sie jetzt wieder eine Freundin besuchen. Und demnächst möchten die beiden Frauen ein Wochenende verreisen.