Der Start ins Berufsleben ist oft eine Hürde – Neue Wege gesucht

Viele freie Ausbildungsplätze und viele junge Menschen ohne Job – wie passt das zusammen? Fachleute sehen unterschiedliche Stellschrauben. Ein Umdenken ist aus ihrer Sicht nicht nur bei Unternehmen gefragt.

Leon Gimmy ist 16 Jahre alt. Seit acht Jahren spielt er beim SLC in Ludwigshafen in der Landesliga und träumt von einem Leben als Fußballprofi. „Es muss aber auch einen Plan B geben“, weiß Leon, der in diesem Sommer seine Mittlere Reife erlangt. Der Plan B liegt, vielleicht, bei der Fuchs SE in Mannheim. Bei dem Schmierstoffhersteller macht Leon demnächst ein Praktikum; betreut wird er dabei von zwei dual Studierenden sowie Stefan Fuchs. Der Vorstandsvorsitzende des Weltkonzerns ist über die Initiative „Anpfiff ins Leben“ Leons Aufstiegshelfer.

„Anpfiff ins Leben“ ist ein gemeinnütziger Verein, der an zwölf Standorten in der Rhein-Neckar-Region gemeinsam mit Partnervereinen junge Sportlerinnen und Sportler unterstützt. In sportlicher Hinsicht durch eine professionelle Jugendsportförderung vor Ort. In beruflicher Hinsicht unter anderem mit der Aufstiegshelfer-Initiative, bei der Unternehmen eine Sportlerin, einen Sportler unter ihre Fittiche nehmen.

Das bedeutet: Die jungen Leute machen Praktika und werden über mehrere Monate von den Betrieben sowie jungen Auszubildenden, die bereits dort tätig sind, begleitet. Im vergangenen September lernten sich die jungen Sportler und Vertreter der Unternehmen bei einem Soccer-Golf-Match kennen. Jetzt im Frühjahr finden die Praktika statt, im Sommer gibt es einen abschließenden Coaching-Tag. Acht Aufstiegshelfer sind in diesem Jahr dabei: Fuchs SE, SAP SE, AOK Rhein-Neckar-Odenwald, Volksbank Kraichgau, die IT-Unternehmen Hochwarth und Rodias, Lenz Energie AG sowie Screenday Productions.

„Die Zukunft liegt in den Händen der Generation Z, wir müssen uns auf die jungen Menschen einstellen und nicht versuchen, sie in unser Raster zu pressen“, sagt Stefan Fuchs. Das sieht Andre Panne, Geschäftsführer der Rodias GmbH, ähnlich. Er ermuntert junge Menschen ausdrücklich, alles in Frage zu stellen: „Bringt das, was ihr an Veränderung braucht, in den Betrieb rein, so dass ihr auch noch in zehn oder zwanzig Jahren hier arbeiten wollt.“

Joachim Bader, Geschäftsführer der AOK Rhein-Neckar-Odenwald, setzt auf „Reverse Mentoring“: einen Ansatz, bei dem beide Seite, Auszubildender und Ausbilder, voneinander lernen und die Perspektiven wechseln. „Was müssen wir bieten, damit sich junge Menschen für uns als Arbeitgeber entscheiden?“, das ist für Bader die ausschlaggebende Frage.

Bevor junge Menschen sie sich stellen, müssen sie aber erst noch eine andere Frage beantworten – nämlich, was sie überhaupt machen wollen. Angesichts von mehr als 300 Ausbildungsberufen und 9.300 Bachelor-Studiengängen eine große Hürde. So mancher findet keine passende Antwort – und taucht ab.

Bundesweit gibt es 2,64 Millionen 20- bis 34-Jährige, die ohne formale Qualifikation bleiben und drohen, sich komplett aus der Bildungsbiografie zu verabschieden. Der Anteil junger Menschen ohne Schulabschluss sowie derjenigen mit Migrationshintergrund ist hierbei besonders hoch. Manche haben die Schule abgebrochen, andere haben zwar einen Schulabschluss, aber sonst keine Ausbildung gemacht oder diese nicht zu Ende geführt. „Diese große Gruppe muss uns zu denken geben. Die Gefahr, dass wir die jungen Menschen nicht mehr erreichen, ist groß“, sagt Frank Neises vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).

Besonders kritisch ist der Übergang von einem System ins andere, also die Situation, wenn die jungen Menschen die Schule – mit oder ohne Abschluss – verlassen. Um frühzeitig in Kontakt zu kommen, ist beispielsweise die Mannheimer Arbeitsagentur seit ein paar Jahren stärker an den Schulen präsent; Berufsberater bieten vor Ort feste Bürozeiten an. „So ist ein einfacher und barrierearmer Zugang möglich. Wer spontan eine Frage hat, muss keine Hotline wählen oder eine Behörde aufsuchen, sondern findet einen Berater in der Schule“, betont Denny Krupp, Teamleiter Berufsberatung der Mannheimer Agentur für Arbeit.

Denn häufig kommt es zu „Passungsproblemen“, wie Fachleute sagen: Ausbildungsstellen sind vorhanden, aber nicht in den Berufen, die junge Menschen machen möchten. Sogenannte einfache Dienstleistungen wie Verkaufen, Reinigen, Lagern gelten als unattraktiv, und da nützt es wenig, dass das Image mitunter schlechter ist als die Realität – oder die Bezahlung gut.

Auch regional gibt es Unterschiede: Im ländlichen Raum ist es für junge Menschen oft schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden, während die Unternehmen in Ballungsgebieten nicht alle Plätze besetzen können. Insgesamt führen beide Phänomene dazu, dass etwa 13 Prozent aller angebotenen Ausbildungsstellen, rund 70.000, unbesetzt bleiben.

Grundsätzlich wirbt Neises dafür, jungen Menschen positiv zu begegnen. „Mit Blick auf die Fachkräftesicherung liegt hier ein großes Potenzial. Das müssen wir erkennen und die jungen Menschen mit ihren Wünschen und Talenten wahrnehmen.“

Häufig stehe das Defizitäre im Vordergrund, etwa ein schlechtes Schulzeugnis, mangelnde Sprachkenntnisse, kein Schulabschluss. Doch der Experte verweist auf Hilfen, beispielsweise die „Assistierte Ausbildung“ oder Programme, bei denen schwächere Jugendliche während ihrer Ausbildung begleitet werden, um Abbrüche zu vermeiden. Wer mit dieser Unterstützung eine reguläre Ausbildung aufnehme, bleibe seltener in „Sonderstrukturen“ hängen, etwa in Praktika oder berufsvorbereitenden Programmen. Und auch die Betriebe, die auf die neuen Fachkräfte angewiesen sind, profitieren.

Eltern spielen bei der Berufswahl im Übrigen die größte Rolle. „Eltern haben eine Schlüsselfunktion. Wenn beide beispielsweise einen akademischen Abschluss haben, ist die Frage, ob sich die Kinder entsprechend ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen frei entfalten dürfen“, sagt Christian Fischer, stellvertretender Bereichsleiter Berufliche Bildung und Abteilungsleiter Ausbildung bei der IHK Schwaben.

Frei entfalten kann bedeuten: Die Kinder studieren nicht, sondern machen eine Ausbildung. Experten kritisieren seit Jahren, dass die Berufsausbildung in Deutschland vor allem ein Imageproblem habe. „Wir müssen die Attraktivität der dualen Ausbildung steigern und zeigen, dass es viele spannende Berufe gibt und die Perspektiven hinsichtlich Verdienst und Aufstieg gut sind“, betont Fischer. Genauso gut oder oftmals sogar besser als für Gleichaltrige, die ohne Praxiserfahrung von der Universität kommen.

Daneben müsse die Aus- und Weiterbildung stärker modular aufgebaut werden, so dass sich Menschen schrittweise weiterentwickeln könnten. In der Gastronomie beispielsweise gebe es neuerdings die Ausbildung zur Fachkraft Küche: Sie dauert nur zwei Jahre und ist, was die Prüfungsinhalte angeht, weniger anspruchsvoll. Wer dann weitergehen will, kann mit einem zusätzlichen Jahr – nach der Ausbildung zur Fachkraft Küche – die Ausbildung zum Koch abschließen.

Generell gilt: Im Anschluss an eine Ausbildung ist meist eine Weiterbildung möglich, zum Beispiel zum Fachwirt, Meister oder Betriebswirt. „Somit ist eine Vergleichbarkeit mit Hochschulabschlüssen wie Bachelor oder Master gegeben.“ Fischer sieht aber auch die Unternehmen selbst in der Pflicht: „Die müssen kommunizieren, dass Ausbildung sich lohnt – im wahrsten Sinne des Wortes.“