Der Pastor von der Gedenkstätte Neuengamme

Hanno Billerbeck hat eine ebenso ungewöhnliche wie wichtige Arbeit. Der Theologe arbeitet als Pastor an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Ein Besuch zum Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar.

Pastor Hanno Billerbeck vor den Resten des Arrest-Bunkers in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Pastor Hanno Billerbeck vor den Resten des Arrest-Bunkers in der KZ-Gedenkstätte NeuengammeTimo Teggatz

Neuengamme. Natürlich hört er sie oft, diese Frage, wie Gott das zulassen konnte und warum er nichts getan hat gegen das Grauen des Nationalsozialismus. Viele Besucher fragen sich das in Neuengamme. Hanno  Billerbeck, Pastor an der KZ-Gedenkstätte, antwortet ihnen theologisch: „Wir glauben an einen Gott, der durch die Kraft seines Geistes wirkt und nicht mit Gewalt eingreift“, sagt er dann. Um seinen Standpunkt zu untermauern, fügt er manchmal noch hinzu, dass Gott auch gegen andere Katastrophen in der Geschichte der Menschheit nichts unternommen hat.
Hanno Billerbeck erklärt das sowohl jungen Besuchern als auch erwachsenen, denn als Pastor an der KZ-Gedenkstätte hat er mit vielen unterschiedlichen Menschen Kontakt. Etwa einmal pro Woche kommt eine Konfirmanden-Gruppe aus dem Hamburger Raum. Für die 14- bis 15-Jährigen ist es oft das erste Mal, dass sie mit dem Nationalsozialismus in Kontakt kommen. „In der Schule haben sie das Thema noch nicht behandelt“, sagt Billerbeck, der nicht zuletzt deshalb die Gruppen meist vorab besucht.

Kirche arbeitet Vergangenheit auf

Für die jungen Menschen, geboren in diesem Jahrhundert, sei der Zweite Weltkrieg sehr weit weg, sagt Billerbeck. Trotzdem staune er darüber, dass in jeder Gruppe Jugendliche dabei seien, die sehr gut Bescheid wüssten. Manche hätten Dokumentationen im Fernsehen gesehen, andere seien persönlich betroffen, weil etwa der Großvater in Neuengamme inhaftiert gewesen sei. „Da muss man manchmal schlucken“, gibt Billerbeck zu.
Erwachsene betreut Pastor Billerbeck zusammen mit einem ökumenischen Arbeitskreis. Jeden Sonntagnachmittag kommen Ehrenamtliche zur Gedenkstätte, um Besucher zu begleiten. Die Helfer sind eine bunt gemischte Gruppe, vom Studenten bis zum 82-Jährigen, Christen sind dabei und sogar ein Buddhist. „Ich frage nicht nach der Religion“, sagt Billerbeck. Nur mit dem Titel „ökumenischer Arbeitskreis“ müssten die Ehrenamtlichen leben können. Die Gruppe, die Billerbeck leitet, empfängt jedes Jahr etwa 800 Besucher.

Täter waren evangelisch

Dass die evangelische Kirche an der KZ-Gedenkstätte präsent ist, hat historische Gründe. In den 80er-Jahren beschäftigte sich der Neuengammer Pastor Jürgen Köhler mit der Gedenkstätte und half, sie ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Die Arbeit wurde immer intensiver, und so beschloss der damalige Kirchenkreis Alt-Hamburg 1992, eine Pfarrstelle an der Gedenkstätte einzurichten. Seit 2012 hat Pastor Billerbeck diese Position inne, die in Norddeutschland einzigartig ist. Nur noch in Dachau gibt es eine Pastoren-Vollzeitstelle an einer KZ-Gedenkstätte.  Damit stelle sich die Kirche auch ihrer geschichtlichen Verantwortung. „Die Kirche war Teil des NS-Systems“, sagt der 55-Jährige. Viele Täter seien evangelisch gewesen.  Hier biete sich die Möglichkeit, das aufzuarbeiten.  Dass die Kirche sich so intensiv mit ihrer Vergangenheit beschäftige, werde – gerade von kirchenfernen Menschen – sehr positiv aufgenommen, berichtet der Theologe.
Bevor er nach Neuengamme kam, war Billerbeck viele Jahre Gemeindepastor in Geesthacht. Als er hörte, dass die Stelle in Neuengamme frei wurde, bewarb er sich sofort, denn schon seit seinem Studium interessierte er sich für die NS-Zeit. Jetzt arbeitet er in einem Büro auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte, untergebracht in einem ehemaligen Gefängnistrakt. Billerbeck ist zufrieden mit seinem Arbeitsalltag. Nur eines vermisst er: das sonntägliche Zusammensein mit Menschen aus der Gemeinde.