Der Pastor vom Hamburger Dom

Seit acht Jahren arbeitet Friedrich Brandi ehrenamtlich als Schausteller-Seelsorger. Er segnet auch schon mal Karussells oder fährt im Talar Achterbahn. Ein besonderer Bummel über den Dom.

Pastor Friedrich Brandi auf dem Hamburger Dom
Pastor Friedrich Brandi auf dem Hamburger DomFriederike Lübke

Hamburg. Zuerst sieht man das Riesenrad, dann hört man die Musik. Friedrich Brandi schließt sein Fahrrad an und betritt den Hamburger Dom. Sofort schallen ihm Shantys entgegen und das Geheul der Karussells, aber Brandi ist nicht hier, um sich über den Jahrmarkt treiben zu lassen. Brandi, 66 Jahre alt und pensioniert, ist ehrenamtlicher Seelsorger für die Schausteller auf dem Hamburger Dom. Vor seiner Pensionierung bildete er Vikare aus.
Schon nach ein paar Schritten sieht er die erste Bekannte. Brandi tritt an eine Süßigkeiten-Bude. Hinter gebrannten Mandeln und Zuckerstangen gießt eine Frau eine rote Masse in eine Form, aus der Lollis werden sollen. Über die Auslage hinweg reicht sie Brandi die Hand. „Wie geht`s?“ – „Gut. Selbst?“ – „Auch“. Die beiden unterhalten sich über die Geschäfte. Gebrannte Mandeln kauft bei der Hitze wohl niemand? „Kauft keiner gar nichts“, sagt die Frau. Es sei einfach zu heiß.

Konfi-Unterricht im Kompaktkurs

Weiter an den Buden entlang. Eine Frau moderiert ein Pferderennen, bei dem man mit Ballwürfen die Pferdefiguren voran schiebt. Daneben lassen drei echte Ponys in einer kleinen Manege die Köpfe hängen, während ein Vater versucht, seine kleine Tochter in den Sattel zu setzen. Das Baby macht sich steif wie ein Korken und will nicht. Aus den verschiedenen Buden baut sich ein Schlager-Mix auf, bei dem ein Lied das andere übertönt, je nachdem welcher Lautsprecher gerade am nächsten ist. Für den Moment gewinnt „Verdammt ich lieb dich“.
Auf der linken Seite taucht ein riesiges Fahrgeschäfts auf. „Dr. Archibald Master of time“ ist so hoch wie ein Wohnhaus, die Fassade sieht aus wie eine Mischung aus Zauberwald und Labor. Zahnräder drehen sich darauf, Hängebrücken schwanken davor. Es lärmt und blinkt. Letztes Jahr hat Brandi es eingesegnet. Die Schausteller bitten ihn oft darum, wenn sie ein neues Fahrgeschäft haben. Er liest dann Psalm 23, sagt etwas zur Geschichte des Geräts und bittet um Segen für Betreiber, Besucher und Fahrgeschäft.
„Ich fühle mich hier für alle zuständig“, sagt Brandi. Auf dem Dom kennt er etwa 70 Menschen persönlich. „Und 150 kennen mich“, sagt er. Etwa eine Woche vor dem Dom kommen die ersten Anfragen per SMS: „Können Sie mein Kind taufen? Heiraten wollen wir auch noch.“ Wenn er kann, fährt er für Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen auch bis zu den Wohnorten der Schausteller, manchmal sogar bis nach Brandenburg. Den Jugendlichen gibt er in Hamburg Konfirmandenunterricht im Kompaktkurs. Spontan ist er auch: Neulich hat er im St.-Pauli-Heim ein Kind getauft, das Taufbecken war eine Teichschale für Spritzkuchen.

Eigene Form der Religiosität

Brandi hat festgestellt, dass die Schausteller eine eigene Form von Religiosität haben, die weniger verwurzelt in christlicher Tradition ist. „Meine Aufgabe sehe ich darin, diese unspezifische Religiosität mit dem christlichen Glauben zusammenzubringen“, sagt er.
Jetzt aber steuert Brandi auf die Achterbahn „Kuddel der Hai“ zu und begrüßt den Betreiber und seine Frau per Handschlag. Am Kassenhäuschen unterhalten sie sich ein wenig. Auch diese Familienachterbahn hat er vor der Inbetriebnahme gesegnet und ist sogar im Talar damit gefahren. „Wie lange bist Du schon da?“ fragt er den jungen Mann, der die Schranke am Eingang für die Besucher öffnet. „Fünf Jahre, festangestellt“, sagt der junge Mann stolz. „Hab Dich noch nie gesehen“, „Hab mich gut versteckt“, antwortet er und grinst.
Am Getränkestand „Dock 12“ ruht er sich kurz aus. Die meisten Tische sind leer, nur wenige Besucher ziehen vorbei, aber die sind bunt gemischt: junge Mädchen in kurzen Shorts, Männern mit Tätowierungen an den Unterschenkeln, eine Freundin an der Hand, kleine Gruppen von Müttern in Träger-Tops mit verschwitzten Babys auf der Hüfte, viele Familien, bei denen die Frau ein Kopftuch trägt, Jugendliche, die selbst beim Gehen auf ihre Smartphones starren.

Gottesdienst um Mitternacht

Nächster Halt: Eisbude. Hier laufen die Geschäfte hervorragend. „Petrus ist ein Hamburger“, sagt der Besitzer. Vor dem Dom hat er mit seiner Familie Urlaub gemacht, jetzt sind alle braun gebrannt, wie Brandi gleich bemerkt. „Du warst nicht beim Gottesdienst“, sagt Brandi. „Ich weiß Herr Brandi“, sagt der Besitzer ein wenig kleinlaut und erklärt dann, was ihn abgehalten hat. Die beiden kennen sich gut.
Zu Beginn jedes Doms feiert Brandi einen Gottesdienst mit den Schaustellern. Er hält ihn gegen Mitternacht, wenn die Geschäfte geschlossen haben. Etwa 70 bis 80 Besucher sind dieses Mal gekommen. Für die Schausteller gibt es ein eigenes Gebet, darin geht es auch um das Vorrecht, anderen Menschen Freude zu machen. Es endet mit den Worten: „Und wenn meine letzte irdische Tat vollendet ist und der letzte Vorhang fällt, dann nimm mich auf zu Dir und lass mich ewig glücklich sein“.