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Der Nährboden für die amerikanische Spaltung

Alexander Paynes neuer Film „The Holdovers“ ist eine tragikomische Reise zurück in eine von Erstarrung geprägte Vergangenheit. Die Revolution bleibt aus. Daran kann im Dezember 1970 kein Zweifel mehr bestehen. Die Aufbrüche der 60er Jahre in den USA sind gescheitert. Die Attentate auf Martin Luther King und Robert Kennedy haben den Glauben an einen Wandel ohne Gewalt zerstört. Richard Nixons Wahl zum US-Präsidenten im November 1968 war ein deutliches Signal der sogenannten gesellschaftlichen Mitte, dass sie größere, gar radikale Veränderungen nicht mittragen würde.

In den USA herrscht ein verstörender Stillstand. Im Dschungel von Vietnam sterben weiter die Söhne all derer, die sich teure Colleges nicht leisten können und keine Macht haben, ihre Kinder der Maschinerie des Krieges zu entziehen. Währenddessen geht das Leben weiter, als sehnte sich die breite Masse zurück in die 50er Jahre. Es ist ein bleiernes und offensichtlich falsches Leben, in das sich so viele flüchten, aber ein anderes, besseres ist nicht in Sicht. Auch nicht an der Barton Academy, einem exklusiven Internat in Neuengland.

Die elitäre Privatschule, an der nur männliche Jugendliche unterrichtet werden, ist ein aus der Zeit und der Welt gefallener Ort. Der Campus liegt unter einer dicken Schneedecke, und trotz des grauen Himmels strahlt das imposante Schulgebäude ebenso wie die Landschaft, die es dominiert, eine malerische Einsamkeit aus. Es ist ein durch und durch amerikanischer Ort, den Payne und sein Kameramann Eigil Bryld in Szene setzen.

Das Internat wirkt wie das Inbild einer von vererbten Privilegien bestimmten Gesellschaft. In der Barton Academy werden die Söhne der Reichen und Einflussreichen auf das College und auf ihr späteres Leben vorbereitet. Was erst einmal heißt: Sie lernen, welche Türen ihnen ihre Geburt und die daran geknüpften Vorrechte öffnen. Allerdings gibt es einen Lehrer, der an dem Fundament der Schule zumindest ein wenig kratzt. Paul Hunham (Paul Giamatti) unterrichtet Geschichte des Altertums und geht auf Konfrontation mit seinen Schülern.

Hunham benotet Klassenarbeiten und Prüfungen er mit einer fast schon an Sadismus grenzenden Strenge. Und sobald einer oder mehrere Schüler gegen seine Methoden protestieren, reagiert er mit schneidendem Sarkasmus. Dass die meisten von ihnen ihn hassen, ist ihm gerade recht. Schließlich hasst er auch selber diese angehende US-amerikanische Elite aus tiefstem Herzen. Zuletzt ist dieser verbitterte Lehrer allerdings einen Schritt zu weit gegangen. Er hat den Sohn eines mächtigen Senators durchfallen lassen. Nun wird er vom Rektor zur Strafe dazu verdonnert, während der Weihnachtsferien die Schüler zu beaufsichtigen, die das Internat nicht verlassen können.

So bleibt Hunham allein mit fünf Schülern und der Schulköchin Mary Lamb (Da’Vine Joy Randolph) in den kaum geheizten Räumen des Internats zurück. Wärme verspricht in diesen Tagen höchstens der Bourbon, den Hunham sich schon morgens in seinen Kaffee schüttet. Aber nicht nur er, auch Mary Lamb, die ihren Sohn im Krieg in Vietnam verloren hat, flüchtet in den Alkohol. Whisky und Wiederholungen der Fernseh-Spielshow „The Newlywed Game“ helfen ihr, den Schmerz über den Verlust ihres Sohnes für Momente zu betäuben.

Nur Angus Tully (Dominic Sessa) bleibt jeder Trost versagt. Als die übrigen Schüler zum Skifahren abgeholt werden, bleibt er als Einziger zurück. Natürlich folgen David Hemingsons Drehbuch und Alexander Paynes Inszenierung den Konventionen bittersüßer Weihnachtsgeschichten. Und natürlich werden sich Paul Hunham, Angus Tully und Mary Lamb im Lauf der Weihnachtsferien näherkommen. Vor allem die gegenseitige Abneigung zwischen dem brillanten, aber aufsässigen Schüler und dem zynischen Lehrer wird nach und nach einer komplexen Beziehung weichen.

Immer wieder holt Payne das Publikum auch zurück in die Realität der Jahreswende 2023/24. Der Stillstand und die stillschweigende Restauration der 70er Jahre haben den Boden für die heutige Spaltung Amerikas gelegt. Die Schüler, die Hunham vergeblich versucht, in ihre Schranken zu weisen, sitzen heute als Republikaner im Kongress oder führen mächtige Unternehmen.