Der kurze Aufbruch in einen neuen Stil

„Malen, was ist“ – das war das Anliegen der Künstlergeneration, die in den 1920er Jahren auf den Expressionismus folgte. Gerade Linien und ein kühler Blick auf die Wirklichkeit kennzeichnen die Kunst der „Neuen Sachlichkeit“. Die Kunsthalle Mannheim widmet der Strömung ihre neue Sonderausstellung vom 22. November bis 9. März 2025.

„Selten war eine Ausstellung so eng mit unserem Haus verbunden wie diese“, sagte Museumsdirektor Johan Holten am Mittwoch. Unter dem Titel „Die neue Sachlichkeit – ein Jahrhundertjubiläum“ blickt die Kunsthalle auf eine Ausstellung aus dem Jahr 1925 zurück. Dem zweiten Direktor der Kunsthalle, Gustav F. Hartlaub (1864 – 1963), war es in wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich schwieriger Zeit gelungen, 32 Künstler des seinerzeit neuen Stilempfindens auszustellen.

Gleichzeitig prägte er den bis heute weltweit bedeutenden Begriff der „Neuen Sachlichkeit“ für eine an sich heterogene Kunstrichtung. Über die kunsthistorische Bedeutung hinaus steht die Bezeichnung für den kulturellen Aufbruch der 1920er Jahre. Die 230 Arbeiten der aktuellen Ausstellung zeigten, so Holten, dass die „goldenen 20er Jahre nicht für alle golden waren.“

So stehen etwa soziale Missstände, die Verlorenheit des Individuums in der Großstadt und apokalyptische Szenen für die Zeit zwischen zwei Weltkriegen. Die Menschen auf den Bildern schauen ernst und streng, geradezu melancholisch. Sie strahlen eine Sehnsucht nach Ruhe, Ordnung und Klarheit aus.

„Die neue Sachlichkeit“ lasse sich verstehen als Antwort und Abgrenzung zum Überschwang der Gefühle im Expressionismus, sagte Kuratorin Inge Herold. Die Kunsthistorikerin unterscheidet drei Grundrichtungen: den „rechten“, idyllischen, klassizistischen Stil, den „linken“, zeitkritischen, anprangernden Stil sowie den magischen Realismus, der surreale Elemente einbaue.

Der Rundgang durch die Ausstellung verläuft über zwei Etagen: im Erdgeschoss Menschenbilder, die Rolle der Frau, Zeitgeschichte, Körperideale und Selbstbildnisse. Stillleben, Landschaften und Porträts im Obergeschoss. Hauptmotive der 124 ausgestellten Künstler und Künstlerinnen sind das Bild des Menschen und Stillleben.

Zu sehen sind Werke von Max Beckmann, Kate Diehn-Bitt, Otto Dix, Dodo, Karl Hubbuch, Lotte Laserstein und Pablo Picasso. Die Kuratorin ergänzte und erweiterte die Schau des Pioniers Hartlaub vor 100 Jahren. So wurden aktuell auch Bilder von Künstlerinnen aufgenommen – 1925 war keine einzige Frau als Malerin vertreten.

Pablo Picasso fand damals ebenfalls keinen Eingang in die Schau, die sich auf deutschsprachige Künstler beschränkte. Schließlich geht das Konzept Herolds auf die weitere Entwicklung der Strömung und die Schicksale der Künstler im Nationalsozialismus ein. Einige Künstler passten sich dem Leitbild der Nazis an, andere zogen sich zurück und veränderten ihre Motive, wieder andere emigrierten.

Für viele jüdische Künstlerfamilien endete die Machtergreifung mit dem Tod im KZ. Wer sich nicht anpasste, musste damit rechnen, dass seine Bilder als „entartet“ verboten wurden. Beschlagnahmte Bilder verblieben entweder im Ausland oder wurden zerstört.

Die Leihgabe „Christus und die Sünderin“ von Max Beckmann (1884-1950) etwa wurde beschlagnahmt und befindet sich bis heute in der Sammlung des Saint Louis Art Museum. Die Herrschaft der Nationalsozialisten stellte somit für die Mehrzahl der Künstler der „Neuen Sachlichkeit“ einen Bruch im Schaffen dar, erklärte Herold. Bereits Mitte der 1920er Jahre ging die „Neue Sachlichkeit“ zunehmend in einen neoromantischen Stil über.

„Die Künstler damals suchten Antworten auf unsichere, gefährliche Umstände“, sagte Holten dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Bilder spiegeln Kriegserfahrungen und Armut. Der Direktor warnte jedoch davor, die Zeit damals mit der heutigen gleichzusetzen. (2621/20.11.2024)