Der Ketzer von Konstanz

„Während der ganzen Reise hatte er die Angst in Schach gehalten. Aber im Angesicht von Konstanz war da nur noch ein Gedanke, der sich immer schneller in seinem Kopf drehte: ‚Das ist der Ort, an dem du sterben wirst.’“ So heißt es in dem Roman „Der Ketzer von Konstanz“ von Corinna Wolf, der am 15. Januar im SCM-Hänssler-Verlag (Holzgerlingen) erscheint. Er schildert den letzten Weg des böhmischen Theologen Jan Hus (ca. 1370 -1415) zum Konzil von Konstanz und dessen Tod als Ketzer auf dem Scheiterhaufen.

Weil ihm König Sigismund freies Geleit gewährt hatte, entschloss sich Hus im Jahre 1414 nach Konstanz zu gehen, um seine Lehren vor dem Konzil zu verteidigen. Das Konzil, eine der größten Kirchenversammlungen des Mittelalters, wollte die Einheit der Kirche wieder herstellen und sie erneuern. Damals gab es eine große abendländische Kirchenspaltung: Drei rivalisierende Päpste regierten zu dieser Zeit die Christenheit. Jan Hus lehrte an der Prager Universität, bevor er wegen seiner Lehren aus der Stadt verwiesen wurde. Er vertrat die Ansichten des englischen Reformators John Wyclif (ca. 1320 -1384), der die Kirche aufforderte, sich auf ihre Kernaufgaben, die Predigt und die Verkündigung der Heiligen Schrift, zu konzentrieren und ein Leben in urchristlicher Bescheidenheit zu leben. Zudem forderte Hus, dass der Papst und andere Inhaber von kirchlichen Ämtern, sich an den Aussagen und Werten der Bibel messen lassen müssen.

Der Roman schildert in vielen inneren Monologen und Gesprächen die anfängliche Hoffnung von Jan Hus, dass seine Thesen öffentlich diskutiert werden und dann die folgende Enttäuschung und Einsicht, dass ihm trotz versprochenem freien Geleit ein Schauprozess als Ketzer gemacht werden soll – nachdem er Gefangenschaft und Folter ausgesetzt wurde. So hielt man ihn über Wochen in einem halbrunden Anbau des Dominikanerklosters, des heutigen Konstanzer Inselhotels, gefesselt gefangen. Dort war er dem Gestank einer Kloake ausgesetzt und nachts wurde er in eine Art Schrank gesperrt.

„Vor einigen Jahren war ich Teil einer Gruppe von Christen in Konstanz, die sich mit der Geschichte und dem Erbe von Jan Hus in unserer Stadt beschäftigt haben“, sagt die Autorin des Romans, Corinna Wolf, die in Konstanz geboren ist, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Die Idee, dass vor hunderten Jahren ein Mann wie Hus hier gefangen war und gefoltert wurde, weil er für die Erneuerung der Kirche eintrat und die bestehenden Strukturen und Traditionen hinterfragte, hat mich sehr beschäftigt.“ In der Gruppe hätten sie damals den Eindruck gehabt, dass die Bedeutung von Jan Hus als Reformator und die aktuelle Relevanz seiner Botschaft oft untergehe in der Geschichte des Konzils in Konstanz. So sei die Idee entstanden, seine Geschichte zu erzählen, und dabei auch anzudeuten, „welche geistlichen Kämpfe während dieses Konzils und um Hus‘ Entscheidung gegen einen Widerruf sicherlich stattgefunden haben.“

Im Buch wird auch der berühmte Ausspruch in abgewandelter Form erwähnt, den Hus gesagt haben soll, kurz bevor er auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. „Ihr bratet jetzt eine Gans, Gott wird aber einen Schwan erwecken, den werdet ihr nicht brennen noch braten.“ Damit spielte er auf seinen Namen an – Hus bedeutet auf deutsch Gans. Und tatsächlich berief sich Martin Luther, der rund 100 Jahre später lebte, gerne auf diesen Ausspruch und ließ sich mit einem Schwan darstellen.

Doch die Lehren des böhmischen Reformators waren nicht nur für Luther aktuell: „Bei der Beschäftigung mit Hus‘ Lehren war ich verblüfft, wie aktuell sie weiterhin sind“, so die Romanautorin. „Wir ringen als Christen noch heute darum, was ein gottgemäßes Leben bedeutet, gerade diejenigen in Leitungs- und Vorbildfunktionen.“ Und bis heute sei man sich nicht einig darüber, wie das Abendmahl eingenommen werden sollte. Auch der „grundsätzliche Kampf um Macht und Geld, der Hus‘ Schicksal bestimmt hat“, bestimme bis heute den Kurs der Welt maßgeblich. Ebenso sei die Frage des böhmischen Reformators aktuell: „Was sind wir bereit zu bezahlen, um das Leben zu leben, von dem wir glauben, dass es Gott gefällt?“ (0090/14.01.2024)