Der heilige Franz ohne Kitsch und Klischees
Franz von Assisi (1181/82-1226) war ein Mensch voller Widersprüche und ist heute ein Heiliger. Der Autor Alois Prinz erzählt in seiner Biographie, wie er sich dem Menschen Franziskus angenähert hat.
Über den heiligen Franziskus ist schon viel geschrieben worden. Warum haben Sie noch eine Biographie hinzugefügt?
Alois Prinz: Ich wollte Franziskus retten vor der Verkitschung und Banalisierung und ihn damit wieder lebendig und zugänglich machen. Die meisten Geschichten über ihn zeichnen ein sehr süßliches Bild und reduzieren ihn auf einen, der zu den Tieren redet und schöne Lieder singt. Das ist die Gefahr, wenn man jemanden zum Heiligen verklärt – damit kann man seine Ideen verharmlosen und ihn letztlich zum Verschwinden bringen. Franziskus war ein Radikaler, mit Botschaften, die auch heute noch wichtig sind. Gleichzeitig ist meine Biographie ein suchendes Buch, mit Fragen und Leerstellen, die zum Nachdenken anregen sollen – auch nichtreligiöse Menschen
Was für ein Mensch war Franz von Assisi?
Er war ein sehr religiöser Mensch, obwohl er die Religion erst relativ spät entdeckt hat. Kein akademischer Theologe, sondern jemand, dessen Leben seine Botschaft war. Manches in seinem Wesen ist widersprüchlich und schwer zu fassen. Er gab sich sehr einfach, vielleicht sogar naiv, und bezeichnete sich selbst als „Idioten“. Andererseits dachte er aber auch strategisch und konnte sich diplomatisch verhalten, wenn er ein bestimmtes Ziel erreichen wollte.
Allerdings muss ich dabei auch sagen: Franziskus hat vor 800 Jahren gelebt – da haben sich viele Überlieferungs-Schichten angehäuft, die aus unterschiedlichen Zeiten stammen und mit unterschiedlichen, oft verzerrenden Absichten aufgeschrieben wurden. Jeder Biograph muss versuchen, sich durch diese Schichten hindurchzuarbeiten zu der Person, die er beschreiben möchte.
Keine wissenschaftliche Abhandlung
Wie sind Sie an diese Herausforderung herangegangen?
Ich habe natürlich alle Quellentexte studiert und die wichtigsten Biographien über ihn gelesen. Aber ich wollte ja keine wissenschaftliche Abhandlung über ihn schreiben, sondern mit meinem Buch heutige Menschen erreichen. Ich musste einen eigenen Zugang finden und mich mit dem Kopf und sozusagen auch mit dem ganzen Körper an ihn heranarbeiten. Darum habe ich Franziskanerklöster besucht und bin von Assisi nach Rom gepilgert – auf einem Weg, den Franziskus selbst gegangen ist, als er den Papst um Zustimmung für seine Lehre bitten wollte. Diese Wanderung durch die Landschaft, in der Franziskus gelebt hat, hat mir die Augen geöffnet für Eindrücke, die bei ihm wichtig sind: die wunderbare Natur, der blaue Himmel, die Sonne, die viele Stunden lang auf die Hügel scheint… so lässt er sich als Persönlichkeit besser verstehen, ohne dass ich sagen könnte, dass ich ihn ganz erreicht habe.
Was hat Sie besonders beeindruckt?
Zum einen ist da die Entdeckung, dass Franziskus nicht von Anfang an religiös war, obwohl das oft so dargestellt wird. Er wuchs als reicher Bürgersohn auf und hatte mit Kirche und Glauben zunächst wohl kaum etwas zu tun. Auch der Bruch in seinem Leben, der nach seinem 25. Lebensjahr stattgefunden hat, stand zunächst nicht unter religiösen Vorzeichen. Er hatte da plötzlich Erlebnisse und Gefühle, die er nicht einordnen konnte, für die er keine Worte fand. Das Wort „Süßigkeit“ – auf Italienisch „dolcezza“ – war ein Versuch, diese Empfindung zu beschreiben. Besitz bedeutete ihm plötzlich nichts mehr; Menschen, die er zuvor abstoßend fand, begegnete er jetzt mit Zärtlichkeit. Mit der Sprache der Ritter, für die er sich zuvor begeistert hatte, ließ sich das nicht beschreiben. Später fand er in der Bibel Worte, mit denen er diese Umkehrung aller Werte fassen konnte. So erkannte er, dass der Bruch in seinem Leben etwas mit Religion zu tun hatte – was ihn übrigens interessant macht für Menschen, die selbst keine Verbindung zu Glauben und Kirche haben.
Ein Suchender, kein Schwärmer
War Franziskus also eine Art religiöser Schwärmer?
Nein, Franziskus war ein Suchender. Nach den ersten Erlebnissen, die ihn wie ein Blitz trafen, blieb er an seiner Entdeckung dran. Er wollte diese Gefühle nicht verlieren und suchte bewusst nach Situationen, in denen sie wieder auftraten – zum Beispiel bei der Begegnung mit Aussätzigen. Diese Suche nach dem, was ihn glücklich und sein Leben sinnvoll machte, ist, so könnte man sagen, die Entdeckung des Religiösen, eine Leistung, die beeindruckend ist.
Was hat die Menschen seiner Zeit so an Franziskus begeistert?
Während meiner Wanderung in Italien habe ich mir vorgestellt, wie er wohl auf mich gewirkt hätte, wenn ich ihm begegnet wäre. Von Weitem gesehen hat er wohl nicht viel hergemacht; er war eher klein und sehr einfach gekleidet, und er lief immer barfuß. Aber wenn man ihn kennengelernt hat, muss er von überwältigender Freundlichkeit gewesen sein. Er strahlte keine strenge Würde aus, wie man sie bei einem Heiligen vermuten könnte, sondern trat auf wie ein Gaukler: Er hat gesungen, getanzt und ab und zu auch Dinge getan, die die Leute schockiert haben – aber nie verletzend, immer auf eine heitere Weise. Es ging ihm darum, ein anderes Lebensgefühl zu vermitteln, und dabei scheint eine Kraft von ihm ausgegangen zu sein, die die Menschen fasziniert hat.
Was gehörte zu diesem anderen Lebensgefühl?
Einmal natürlich die Armut: Franziskus predigte und lebte die Besitzlosigkeit, weil er überzeugt war, dass sie frei macht. Zum zweiten lehnte er jede Form von Macht ab. Alle Menschen waren ihm gleich viel wert – was letztlich auch bedeutete, dass die kirchlichen Hierarchien für ihn bedeutungslos wurden. Das brachte ihn in gefährliche Nähe zu Gruppierungen, die der Ketzerei angeklagt wurden, aber da ließ er nicht mit sich reden. Trotzdem schaffte er es, von der Kirche, die er in Frage stellte, akzeptiert zu werden. Das ist der Zwiespalt seines Lebens: Er wollte die Kirche auf der einen Seite sprengen, konnte sich aber auf der anderen Seite nur in ihr entfalten. Dieser Konflikt wurde auch in seinem Orden immer wieder diskutiert. Und auch heute ist die Frage noch aktuell: Wie kann man innerhalb der Kirche etwas verändern und wo muss man sie reformieren oder sich sogar gegen sie stellen?
Können wir heute noch von Franziskus lernen?
Wir können seine Lebensweise nicht nachmachen und alle barfuß und in Kutte herumlaufen – das wäre lächerlich. Aber wir können uns von ihm beraten lassen bei Themen wie Umgang mit Macht, Friedenstiften und natürlich unserem Verhältnis zur Natur. Er war der erste, der alle Lebewesen und sogar die unbelebte Natur als Geschöpfe Gottes betrachtete und ihnen eine Seele zusprach. Das war zu seiner Zeit revolutionär. Dasselbe gilt für sein Verhältnis zu Macht: Wer in anderen Menschen Geschöpfe Gottes sieht, begegnet ihnen allen mit derselben Wertschätzung und teilt sie nicht in Hierarchien ein. Das ist es, was die Kluft von 800 Jahren, die uns von Franziskus trennen, überspannen kann und uns heute noch etwas angeht. Wenn man sich in diese Gedanken einmal richtig hineinversetzt, kommt man zu einer anderen Selbstauffassung und nimmt Mitmenschen und Umwelt anders wahr.
• Alois Prinz: Franz von Assisi. Tierschützer, Minimalist und Friedensstifter. Gabriel-Verlag, 272 Seiten, 17 Euro. ISBN: 978-3-522-30590-7.