Der Glaube gibt ihr Kraft, über den Tod

Eine Mutter verliert ihren Sohn (5) bei einem Unfall an einem Bahnübergang. Seitdem kämpft sie für mehr Sicherheit an Bahnübergängen. Die Kraft holt sich Marzia P. aus ihrem unerschütterlichen Glauben.

Marzia P. im Zimmer ihres Sohnes Matteo, der bei dem Unfall im Mai 2015 ums Leben kam
Marzia P. im Zimmer ihres Sohnes Matteo, der bei dem Unfall im Mai 2015 ums Leben kamInke Pohl

Kreis Pinneberg. „Es war ein wunderschöner Strandtag bis dahin“, erinnert sich Marzia P., die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Am 11. Mai 2015 schien die Sonne, die Familie machte Urlaub auf Eiderstedt. Auf dem Rückweg dann der Unfall, der alles veränderte. Der 66-jährige Großvater saß am Steuer, seine Frau, Tochter und Enkeltochter hinten, der fünfjährige Matteo vorne im Kindersitz. „Wir hatten noch nie wahrgenommen, dass der Weg über Bahngleise führte. Ich habe den Zug als Einzige und erst in letzter Sekunde gesehen.“ Marzia P. saß in der Mitte, als die Lok der Regionalbahn gegen das Auto prallte. Es überschlug sich, der fünfjährige Matteo starb noch an der Unfallstelle.
Jetzt wohnen sie zu dritt in einer Siedlung mit vielen Familien. Inzwischen ist Marzia P.s doppelter Beckenbruch weitgehend verheilt. Ihre Trauer wird bleiben. Das Leben geht weiter, mit ihrem Mann, der nicht mit im Auto saß, und ihrer dreijährigen Tochter, die wie durch ein Wunder bei dem Unfall nahezu unverletzt blieb.
Die 37-Jährige trägt eine silberne Kette um den Hals, mit einem Engelsflügel und einem kleinen Stern, auf dem „Matteo“, sein Geburtsdatum und der letzte Tag seines Lebens eingraviert sind. Marzia P.s Glaube ist felsenfest. „Ich werde oft gefragt, wie ich noch an Gott glauben kann“, sagt sie. „Aber er war es ja nicht, der schlecht gesicherte Bahnübergänge geschaffen hat und der die Züge so leise gemacht hat.“ Ist er es, der ihr diese Kraft und den Lebensmut gibt? „Ohne meinen Glauben würde ich hier nicht mehr sitzen“, sagt sie. Noch im Krankenhausbett startet sie eine Onlinepetition, in der sie mehr Sicherheit an Bahnübergängen fordert. Sie schreibt Briefe an den Bundesverkehrsminister und den Chef der Deutschen Bahn. Matteo soll nicht umsonst gestorben sein. Ihr Ziel: mehr Sicherheit im Bahnverkehr, mehr Schutz an Bahnübergängen.

Gemeinde weinte mit ihr

Am besten wäre es, meint sie, überall Vollschranken zu haben oder Bahnübergänge zu Brücken oder Unterführungen umzubauen. Denn jedes Jahr sterben in Deutschland rund 50 Menschen an Bahnübergängen, fast 1000 werden verletzt. Besonders gefährlich: unbeschrankte Übergänge. Davon gibt es in den ländlichen Gebieten Schleswig-Holsteins viele, so wie den, an dem Matteo starb. Nur ein Andreaskreuz weist darauf hin, dass Züge Vorfahrt haben. „Ein Stoppschild, ein Blinklicht, eine dicke Linie auf der Straße – das alles würde schon helfen“, ist Marzia P. überzeugt. „Mein Vater ist der umsichtigste Autofahrer, den ich kenne“, beteuert sie, die nach dem Unfall auch fürchten musste, ihn zu verlieren: Er erlitt einen Schädelbasisbruch und lag Wochen im Koma. Vorwürfe hat sie ihm nie gemacht.
Ihre Eltern geben ihr Halt, so wie die Freunde und Weggefährten aus der freikirchlichen Gemeinde Torstraße in Hamburg. Sie beteten und weinten mit ihr, versorgten sie nach dem Unfall wochenlang mit Essen und betreuten Matteos Schwester. „Es ist auch so viel Gutes passiert“, sagt Marzia P. Durch die wunderbare Betreuung sei die Gemeinde noch enger zusammengewachsen. „Eine Bekannte kommt jetzt regelmäßig in den Gottesdienst, obwohl sie mit Gott vorher nichts am Hut hatte.“
Gerührt ist sie auch über Internetbekanntschaften, die ihr Trost zusprechen. Sie waren es, die dafür sorgten, dass Marzia am ersten Todestag ihres Sohnes zu einem Konzert der Sängerin Adele gehen konnte, die Matteo so gern mit ihr zusammen gehört hatte.

Auftritte in Talkshows

Marzia P. ist offen und freundlich. Sie spricht freimütig von ihren Gefühlen, Trauer, Tränen und Verzweiflung, aber auch von ihrem Glauben an Gott, ihrer Vorstellung vom Leben nach dem Tod und den Bemühungen, ein weitgehend normales Leben zu führen. Die 37-jährige Sängerin und Moderatorin hat viel recherchiert zu Unfällen, kennt Zahlen, Probleme und Argumente, warum nicht mehr in die Sicherheit investiert werde. Sie sucht die Öffentlichkeit, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Schon wenige Monate nach dem Unfall trat sie in Fernsehsendungen auf, authentisch und souverän, sie ist vertraut mit Kameras. Zeitungen und Magazine haben über sie berichtet. Mal sachlich, mal mit Pathos. Mehr als 50 000 Personen haben die Online-Petition bisher unterzeichnet.
Viele bewundern ihre Stärke und ihr Engagement, aber nicht jeder kann sie verstehen. „Manche erwarten, dass man anders trauern muss“, erzählt sie. Aber sie hat noch viele Pläne, macht weiter. „Mir hilft die Vorstellung, dass Matteo nie wieder Schmerzen haben wird, nie wieder weinen wird und dass er bei Gott ist. Irgendwann treffe ich ihn da wieder, das weiß ich“, sagt sie.