Der Geschmack von Heimat
„Der Schwarzwald hat eine ganz eigentümliche Mystik. Er strahlt etwas Geheimnisvolles aus und vermittelt ein erhabenes Gefühl, das die Menschen schon seit Jahrhunderten in seinen Bann zieht.“ Tobias Jost klingt wie ein Reiseführer, und zumindest rund um Furtwangen dürfte der Redaktionsleiter von „Die Fallers“ sich in der Tat gut auskennen: Hier entstehen seit gut 30 Jahren Teile der SWR-Serie rund um den Schwarzwald-Bauernhof der Familie Faller.
Am 25. September 1994 lief die erste Folge im dritten Programm, der SWR feiert das Jubiläum am 14. September mit einem Sonderprogramm. Mittlerweile sind sonntags um 19.15 Uhr weit mehr als 1.200 Episoden ausgestrahlt worden, die Serie ist eine der dienstältesten Produktionen dieser Art im deutschen Fernsehen. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Jost gehört seit Jahrzehnten zur „Fallers“-Familie, erst als Autor und seit 17 Jahren als Redaktionsleiter. Langlaufende Serien, sagt er, müssten verschiedene Voraussetzungen erfüllen, zum einen: „’Die Fallers’ ist eine Familienserie, deshalb wird uns der Stoff nie ausgehen: Die Älteren sterben irgendwann, die Nachkommen nehmen ihre Stelle ein.“ Zweiter Erfolgsfaktor seien die Figuren. Bei den Fallers gehe es „nicht um die besserverdienende Großstadtelite, sondern um ganz normale Leute mit nachvollziehbaren privaten und beruflichen Problemen rund um den Bauernhof, den die Familie betreibt.“
Einige bekannte Mitwirkende der ersten Stunde wie Peter Schell (Altbauer, Bürgermeister und Modelleisenbahn-Fan Hermann Faller) und Ursula Cantieni (Bauersfrau Johanna Faller), sind mittlerweile verstorben. Aber der wichtigste Hauptdarsteller ist ohnehin der Handlungsort: „Der Schwarzwald ist unser Alleinstellungsmerkmal.“
Seit 13 Jahren trägt die Serie den Zusatz „Die SWR Schwarzwaldserie“, und damit liegt der Sender im Trend: Selbst Krimireihen wie „Usedom-Krimi“ (ARD), „Erzgebirgskrimi“ oder „Spreewaldkrimi“ (beide ZDF) werben im Titel mit dem jeweiligen Schauplatz. Dank der konkreten Verortung in einer bestimmten Region, glaubt Jost, „wirken Figuren und Geschichten authentischer.“ Gerade die ländlichen Handlungsorte spielten dabei eine große Rolle.
Bei den „Fallers“ lebe fast ein Drittel des Publikums nicht im Sendegebiet des SWR, also in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. „Diese Menschen schauen die Serie nicht zuletzt wegen der Landschaft, die sie anspricht“, sagt Jost: „Der Schwarzwald ist ja ein Sehnsuchtsort.“
Geschichten wie in „Die Fallers“ vermittelten dem Publikum ein gutes Gefühl: „Konflikte sind der Motor jeder guten Handlung, aber unser Publikum hat die Gewissheit, dass es in eine Welt eintauchen kann, in der die Probleme nicht ganz so gewaltig wie in der Wirklichkeit sind.“
Die Idee, den Menschen kleine Fluchten aus dem Alltag zu gönnen, ist nicht neu: Kaum ein Genre hat dieses Bedürfnis so perfekt bedient wie der Heimatfilm der 1950er Jahre. Auch das Fernsehen hat zu jener Zeit bereits viel mit Regionalkolorit gearbeitet.
Ein Grund dafür war die Binnenintegration, wie der Marburger Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger erklärt: „Die Bundesrepublik Deutschland war ebenso wie viele ihrer Bundesländer ein künstliches Gebilde, in das außerdem die Vertriebenen aus den früheren deutschen Ostgebieten integriert werden mussten. Radio und Fernsehen sollten für ein gemeinsames Wir-Gefühl sorgen, und das funktionierte am besten über den Begriff Heimat.“ Serien wie „Die Fallers“ oder „Dahoam is dahoam“ (seit 2007) vom Bayerischen Rundfunk zeichneten sich bis heute durch „den Geschmack und Geruch von Heimat“ aus.
In den 1950er Jahren wollten die Menschen die Gräuel des Krieges vergessen, heute fliehen sie vor den multiplen Krisen der modernen Welt. Auch Freitagsreihen im „Ersten“ wie „Daheim in den Bergen“ (2018 bis 2024) oder „Reiterhof Wildenstein“ (seit 2019) orientieren sich an der Tradition des Heimatfilms, wie Christoph Pellander, Redaktionsleiter bei der ARD-Tochter Degeto Film, einräumt: „Die Art der Erzählung und der Inszenierung hat sich über die Jahrzehnte zwar stark gewandelt, doch das zentrale Motiv – die Sehnsucht nach einer heilen, idyllischen Welt – ist bis heute ein wichtiger Bestandteil dieses Genres.“
Er spricht allerdings lieber vom „modernen Heimatfilm“: „Wir erzählen bewusst keine eskapistischen, romantisierenden Geschichten, sondern stellen Figuren ins Zentrum, die mit realen Problemen und Herausforderungen zu kämpfen haben.“ Dennoch beschreibe der Begriff „Heimat“ in diesen Filmen „einen Ort, an dem man ankommt und angenommen wird, an dem man sich zu Hause fühlt, wo man Gemeinschaft findet oder Heilung.“
Auch im „Zweiten“ hat Regionalität Tradition, wie die Vorabendserie „Der Landarzt“ (1986 bis 2012) oder der Klassiker „Die Schwarzwaldklinik“ (1985 bis 1989) belegen. Urbanität, sagt Frank Zervos, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie I, sei austauschbar. „Die Darstellung konkreter Regionen und ihrer Menschen knüpft dagegen direkt beim Publikum an.“ Und zur Beliebtheit des Genres habe noch etwas anderes beigetragen: „Im Zuge von Corona wurden einheimische Urlaubsregionen neu entdeckt.“