“Der Fuchs” – wortkarge Parabel als TV-Premiere im SWR

“Der Fuchs” ist ein Drama um einen jungen Motorradkurier während des Zweiten Weltkriegs, der heimlich einen verletzten Fuchswelpen aufnimmt. Ein Film über die Frage, was ein Mensch geben kann, wenn er nichts besitzt.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

In den 1920-Jahren wächst Franz Streitberger als eines von neun Kindern eines armen Bergbauern auf. Als die Not zu groß wird, fassen die Eltern einen harten Entschluss: Franz wird vom Vater als sogenanntes Hütekind zu einem anderen Bauern gegeben, um als Knecht zu dienen. Dort muss er zwar harte körperliche Arbeit verrichten, bekommt aber genügend zu essen und darf die Schule besuchen. Dass er von seiner Familie weggegeben wurde, kann der Junge weder verstehen noch verarbeiten. Dieses Trauma prägt sein gesamtes Aufwachsen.

Als junger Mann (Simon Morze) verpflichtet er sich als Soldat und wird nach dem “Anschluss” Österreichs als Kurierfahrer in Nazi-Deutschland eingesetzt. 1940 nimmt er am Frankreichfeldzug teil. Zuvor findet er im Wald bei der Kaserne ein verletztes Fuchsjunges, das seine Mutter verloren hat. Er nimmt sich des hilflosen Wesens an und verspricht, immer auf es aufzupassen.

Durch die ungewöhnliche Freundschaft lernt Franz, sein Kindheitstrauma hinter sich zu lassen und sich Menschen wieder zuzuwenden. Doch der Krieg macht das Zusammenbleiben der beiden immer unmöglicher.

In “Der Fuchs” von 2022 thematisiert Regisseur Adrian Goiginger erneut ein Stück Familiengeschichte. Der Film basiert auf den Erzählungen seines Urgroßvaters Franz Streitberger (1917-2017), der von seiner armen Bauernfamilie weggegeben wurde. Gedreht wurde mit sechs echten Füchsen, die am Set von Tiertrainerinnen betreut wurden.

“Der Fuchs” gewann 2023 den österreichischen Filmpreis sowie 2024 den Deutschen Filmpreis in Silber. Hauptdarsteller Simon Morze wurde überdies für die beste männliche Hauptrolle ausgezeichnet.

Der Film ist eine Parabel über Zuneigung und Verbundenheit auch unter widrigen Umständen. Der bildmächtige Film kippt dabei nie ins Rührselige und verniedlicht auch das Kriegsgeschehen nicht, was dem wortkargen Drehbuch und einer nüchternen Kameraführung zu verdanken ist, die Schmerz und Schuld in eine tragische Geschichte einbinden

Der Fuchs stirbt nicht. Für sensible Naturen ist das eine nicht ganz unwichtige Information zu dem gleichnamigen Spielfilm von Adrian Goiginger. Doch es gibt hier ohnehin Schlimmeres als den Tod. Das legt sich bleischwer über eine Menschenseele, und wenn diese nicht geheilt wird, bleibt es ein ganzes Leben lang.

Vom Schlagen einer solchen Wunde erzählt das erste, etwa zwanzigminütige Kapitel in “Der Fuchs”, das in seiner Dichte und ungeschwätzigen Genauigkeit ein eigener, meisterhaft inszenierter Kurzfilm ist. Er spielt im Jahr 1927, in einer armseligen Bauernhütte im Pinzgau. Wie auf einem niederländischen Gemälde, nur ohne jede Nostalgie, sitzt die Bauernfamilie Streitberger im Kerzenschein zusammen. Viele Mäuler gibt es zu stopfen, zu viele. Es ist ein stilles, freudloses Beisammensein.

Das Abendessen, ein paar Kartoffeln, hat der achtjährige Franz (Maximilian Reinwald) draußen auf dem Feld gefunden. Er hat sich sogar einen Anflug von Freude erlaubt, als er den Schatz nach Hause brachte. Goiginger choreographiert die von Yoshi Heimrath und Paul Sprinz mit dezenter Unruhe fotografierte Essensverteilung als komprimiertes Drama brüchig gewordener Blicke und zaghafter Gesten der Zuwendung. Weil Franz der Jüngste ist, bekommt er nur eine einzige Kartoffel ab. Mitleidig schiebt der ältere Bruder ihm unter dem Tisch eine weitere zu, heimlich, denn es droht Strafe.

Hier wird nämlich nicht egalitär verteilt, sondern zunächst dem Familienoberhaupt aufgetan. Der Vater (Karl Markovics) gibt dann ein paar Brocken an seine verhärmte Frau (Karola Niederhuber), die abwesend vor sich hinstarrt. Die Kamera nimmt dabei Franz’ Blick auf und führt den Jungen als jenen Beobachter ein, der er auch Jahre später als Motorradkurier der Deutschen Wehrmacht sein wird: dabei, aber am Rand.

Schon in seinem Debütfilm “Die beste aller Welten” (2017), dem zwischen Milieustudie und fantastischem Märchen changierenden Drama über seine eigene drogenabhängige Mutter, verstand es Goiginger, einen kindlichen Charakter – sein Alter Ego – als Beobachter sozialer Unwuchten zu zeichnen, ohne dass die Kinderperspektive rührselig oder altklug wirkte.

Doch während es in “Die beste aller Welten” für das Kind Adrian gut ausgeht, endet das Kindheitskapitel von “Der Fuchs” mit dem Einbruch des Traumas, einer Urszene der Verlorenheit: Der Vater gibt ihn zu dem reichen Bauern Seiwald (Cornelius Obonya); der Vertrag wird mit drei Kreuzen signiert. Der Junge soll auf Seiwalds Hof als Knecht arbeiten, eine Schulbildung erhalten und genug zu essen haben.

Franz begreift nicht, will nicht, rennt zur Mutter, die ihm die Tür vor der Nase zuschlägt. Der Bauer wirft sich das schreiende Kind einfach über die Schulter, während der Vater sich abwendet und die Ohren zuhält. Kindheit schrumpft im ökonomischen Rhythmus von “Der Fuchs” zu dem zusammen, was sie für viele jener Generation gewesen sein mag: auf ein kurzes, trübseliges Kapitel. Entsprechend jäh springt der Film ins Jahr 1937. Franz ist jetzt volljährig; er ist kein Knecht mehr und lebt von der Armenspeisung. Für das Bundesheer wird er als Soldat angeworben. Wieder eine vertragliche Zugehörigkeit, wieder, um nicht zu hungern.

Die Großereignisse werden in “Der Fuchs” im Kleinen und Beschränkten gespiegelt. Wieder ist es eine Essensszene, die jene entscheidende Wendung einleitet, die Begegnung mit dem Fuchs. In einem Wutanfall verlässt Franz den Tisch der Kameraden, stapft in den Wald und drischt auf einen Baum ein. Daneben findet er einen verletzten Fuchs. Franz nimmt ihn mit und pflegt ihn heimlich gesund.

Dieses Tier wird ein Geheimnis bleiben. Im größten Chaos eines Angriffs, und sogar auch noch dann, wenn den Soldaten ein Gelage spendiert wird, sucht Franz sein Tier, als ginge es dabei um alles. Und er spricht zu ihm, wenn er es endlich wiedergefunden hat: “Hast Angst g’habt. Bist wegg’laufen. Ich auch.”

Als er 14 Jahre alt gewesen sei, erklärt Goiginger, habe er von seinem ansonsten eher schweigsamen Urgroßvater Franz Streitberger erstmals die Geschichte von dessen “Fixerl” gehört. Von jenem Fuchswelpen, der verletzt neben seiner tot in einem Fangeisen liegenden Mutter ausharrte und den er dann monatelang bei sich hatte. Damit war Goigingers allererste Filmidee geboren.

Das entstandene Drama ist eine Geschichte über Aneignung und Zuneigung, bis zur letzten schmerzhaften Szene: Franz betritt als Kriegsheimkehrer die verlassene Hütte seiner Eltern und findet dort Schreibversuche des inzwischen verstorbenen Vaters. “Lieber Franz”, steht da. Das ist alles.