Der Fahrtwind weht, wo er will

Wie soll man die Bibel lesen? Der Leiter der Jugendgruppe, zu der ich vor vielen Jahren auch gehörte, hatte dazu eine ganz eigene Einstellung: Auf dem Weg zum Gemeindehaus hielt er die geöffnete Bibel für einen Augenblick aus dem Auto­fenster. Dort, wo der Fahrtwind die Heilige Schrift aufschlug, war dann die Stelle, über die wir anschließend in der Jugendgruppe sprachen.
Darüber mag man den Kopf schütteln. Das habe ich auch getan. Besonders, als ich später im Theologiestudium lernte, wie wichtig das Wissen um geschichtliche Hintergründe, gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge ist, wenn man die Bibel richtig verstehen will. Und dann so etwas? Unvorbereitet in den Bibelkreis gehen? Den Zufall entscheiden lassen, worüber man spricht? Ein Unding.

Andererseits: Nach vielen Jahren der „seriösen“ Beschäftigung mit Bibeltexten kommt mir manchmal in den Sinn, dass das damals auch seinen Reiz hatte. Bibel aufschlagen. Auf den Wind warten. Mal schauen, was passiert. Auch anschließend, in der Gruppe, durfte jeder und jede einfach mal sagen, was ihr oder ihm dazu einfiel. Spontan sein, frei assoziieren, Gedanken sprudeln lassen und von Höcksken auf Stöcksken kommen – so etwas lernt man heutzutage wieder in Kreativitätsseminaren.
Jetzt ist wieder Ökumenischer Bibelsonntag. An vielen Orten findet ergänzend die Ökumenische Bibelwoche statt. Zugegeben: Bei der Kälte will niemand eine Bibel aus dem Autofenster halten. Aber mal locker und mit frischem Blick an die Heilige Schrift herangehen, die Schleusentore im Kopf für einen Moment weit öffnen – vielleicht nicht die schlechteste Idee für den Sonntag.