Diskutiert wird heute: Ist derjenige, der sich beim Schwören auf Gott beruft, ihm besonders verbunden? Instrumentalisieren wir Gott, wenn wir einer Eidesformel einen Gottesbezug zufügen?
Von Ulrich Seelemann
1998 geschah etwas Unerhörtes, über das sich die Presse aufregte und ganz Deutschland diskutierte: Bei der Vereidigung des neuen Bundeskabinetts leistete die Mehrzahl der Bundesministerinnen und Bundesminister den Amtseid ohne „religiöse Beteuerungsformel“. Nur eine kleine Minderheit – aus beiden Parteien – fügte dem Amtseid die Formel an: „So wahr mir Gott helfe“. Das hatte es in der fünfzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Sind wir jetzt ein gottloses Land geworden, haben wir jetzt eine gottlose Regierung? Diese Fragen wurden öffentlich gestellt und diskutiert. Auch in kirchlichen Kreisen gab es darüber viele Diskussionen, manchmal hitzig und hoch emotional, mit sehr unterschiedlichen Ansätzen. „Mein Glaube ist meine Privatsache“, äußerte sich sinngemäß der frisch vereidigte Bundeskanzler.
Was war da geschehen, bekannten sich die meisten Mitglieder der Bundesregierung damit zum Atheismus, leugneten den christlichen Glauben? Oder handelten sie vielleicht sogar nach den christlichen Geboten? Um diese Fragen zu beantworten, muss geklärt werden, was denn ein Eid, das Schwören, ist und welche Bedeutung dabei die „religiöse Beteuerungsformel“ eigentlich hat – für die Welt nach außen und nach unserem Glauben.Der Eid ist eine besondere Bekräftigung einer Aussage, einer Behauptung oder eines Versprechens. Der Schwörende will so seinem Wort ein besonderes Gewicht beilegen. Er erklärt damit öffentlich, dass er ausdrücklich eine Sanktion in Kauf nimmt für den Fall, dass die Aussage unwahr ist, er sein Versprechen bricht. Dabei wird dann schon von alters her in vielen Kulturen oft auf etwas Bezug genommen, das außerhalb der schwörenden Person liegt und eine hohe Autorität dem anderen gegenüber besitzt, dem die Erklärung abgegeben wird. So liest man in der Literatur vom Schwören unter Berufung auf verstorbene, hochgeachtete Ahnen, bei Paaren „bei unserer Liebe“ und so weiter. Und der Öffentlichkeit gegenüber eben auch unter Berufung auf die höchste allgemeine Autorität, auf Gott.
Weiterlesen