Der „Decke Pitter“ vom Kölner Dom: Eine Glocke feiert Jubiläum

Er kam mit dem Zug aus Thüringen. Zwei Wochen dauerte es, ihn in den Glockenstuhl zu hieven. Seit 100 Jahren macht der „dicke Peter“ Köln froh. Hommage an eine Glocke.

Der "Dicke Pitter" erklingt nur zu besonderen Anlässen
Der "Dicke Pitter" erklingt nur zu besonderen AnlässenImago / Schöning

An 15 Tagen im Jahr erschallt ihr tiefer Glockenschlag aus 53 Metern Höhe über die Kölner Innenstadt. Die Petersglocke, die größte Glocke des Kölner Doms und im Volksmund „Decke Pitter“ – also „Dicker Peter“ – genannt, erklingt regulär nur zu hohen Feiertagen wie Weihnachten, Ostern und Himmelfahrt. Oder zu besonderen Anlässen: Vor 78 Jahren etwa kündete sie den Kölnern vom Ende des Zweiten Weltkriegs. Sterben Papst oder Erzbischof, läutet sie eine halbe Stunde lang. Nun feiert sie ihren 100. Geburtstag.

Zu ihrem Geburtstag hat die Glocke ein besonderes Geschenk bekommen: Seit März erklingt am Dom eine zwölfte Glocke. Sie hat ihre Heimat im Vierungsturm gefunden. Dort hing die sogenannte Klaraglocke bereits im 19. Jahrhundert. Die 70 Kilogramm schwere Glocke aus dem Jahr 1621 stammt vermutlich aus dem Klarissenkloster am Römerturm. Im Dom diente sie vor allem als Alarmglocke. Seit 1920 wurde das Instrument jedoch nicht mehr benutzt und 1981 wegen Witterungsschäden abgenommen. Im neuen Glanz erweitert sie nun das Geläut ihres großen Bruders.

24 Tonnen Bronze gegossen

Der wurde am 5. Mai 1923 in einer Glockengießerei im thüringischen Apolda gegossen. Kein leichtes Unterfangen, erzählt der Architekt Jörg Sperner, der in der Kölner Dombauhütte arbeitet. Für den „Decken Pitter“ mit seinem Durchmesser von 3,22 Metern wurden 24 Tonnen Bronze geschmolzen. Die musste durchgängig auf gut 1.000 Grad Celsius erhitzt werden, denn es durften keine Fehlstellen entstehen. Sie hätten später Klang und Stabilität beeinflusst.

Bis die dem Namenspatron des Kölner Doms, dem Heiligen Petrus, gewidmete Glocke erstmals im Südturm erklang, hatte sie jedoch noch einen weiten Weg vor sich: Gut 370 Kilometer trennen Apolda von Köln, der „Decke Pitter“ legte sie mit der Bahn zurück. Ende November 1924 weihte Erzbischof Joseph Schulte die Glocke vor dem Hauptportal. 20.000 Menschen gaben ihr dort Geleit. Dann wurde sie von Hand in den Glockenstuhl hochgezogen – 13 Tage dauerte die Aktion, und Etage um Etage kam der Pitter höher über die Stadt.

Ganz oben im Kölner Dom hängt der "Dicke Peter"
Ganz oben im Kölner Dom hängt der "Dicke Peter"Imago / Wolfgang Zwanzger

Rechtzeitig vor dem Weihnachtsfest hatte die Petersglocke dann ihre endgültige Heimstätte im Turm erreicht, doch ihr Geläut ließ noch auf sich warten. An Heiligabend riss nach wenigen Schlägen das Seil der elektrischen Läutemaschine. Diese richtig einzustellen, muss eine Herausforderung gewesen sein, erklärt Sperner: Jahre hat es gedauert, bis die beiden Elektromotoren synchron aufeinander abgestimmt waren und der „Decke Pitter“ regulär zum Einsatz kommen konnte.

Weltrekord für die Glocke

Mit ihrem tiefen C ist sie heute die tontiefste freischwingende Glocke der Welt. Von ihrem Platz aus blickt sie über die Kölner Innenstadt bis ins Umland. Manch einer sage, dass er den „Decken Pitter“ gar bis ins 15 Kilometer entfernte Bergisch Gladbach hören könne, führt Sperner aus. Das sei aber wohl eher ein Gefühl innerer Verbundenheit. Der Architekt schätzt, dass der Glockenklang bei guten Wetterverhältnissen etwa einen Kilometer weit schallt.

Solch gewaltiger Klang bleibt nicht ohne Nebenwirkungen. Die Petersglocke, mit vielen Inschriften verziert, hängt mit sieben der kleineren Geschwistern in einer Art Eisengerüst. Das schützt die Kathedrale vor den Vibrationen, die im Glockenturm trotzdem deutlich zu spüren sind.

Nur ein Knopfdruck nötig

Während das recht kurze Leben der Vorgängerin des rheinischen Schwergewichts, der Kaiserglocke, vor allem von Pannen geprägt war, hält sich die Pechsträhne der Petersglocke bislang in Grenzen. Doch ganz ohne Schwierigkeiten kommt auch sie nicht aus. In den 1950er Jahren kam es zu einem Riss, der aber erfolgreich geschweißt werden konnte. Am Dreikönigstag 2011 dann brach der Klöppel und fiel auf die Wartungsebene des Glockenstuhls. Das war immerhin ein weniger dramatischer Absturz, als ihn der Tongeber der Kaiserglocke hinlegte: Der nämlich raste bis zum Erdgeschoss durch. Verletzt wurde niemand.

Fast das gesamte Jahr 2011 war die Petersglocke zum Schweigen verdonnert, bis sie einen neuen – und mit knapp 600 Kilogramm einen um 200 Kilogramm leichteren – Klöppel bekam. Sechs Jahre später kam sie erneut zum Erliegen. Der Klöppel saß nicht richtig, brauchte eine neue Aufhängung. Die Arbeiten dauerten über eineinhalb Jahre – eine Zeit, die zeigt, wie komplex Reparaturen an einer Glocken dieser Größe sind.

Doch manches ist in den vergangenen 100 Jahren auch leichter geworden. Die Kaiserglocke – drei Tonnen schwerer als ihr Nachfolger – brachten 28 Mann in Schwingung. Eine halbe Stunde vor dem Läuten mussten sie sich mit aller Kraft an die Seile hängen. Heute betätigt der Küster einen Knopf im Erdgeschoss – und nur wenige Sekunden dauert es dann, bis sich der „Decke Pitter“ in Bewegung setzt und gemächlich einschwingt. Fünf Minuten lang hallt sein Schall beim feierlichen Geläut allein über die Domplatte. Erst dann fallen seine Geschwister in den Akkord mit ein.