Der Bückeberg bei Hameln: Schlüsselort des Nationalsozialismus

Der Bückeberg bei Hameln ist als Gedenkort für die NS-Diktatur wenig bekannt. Dabei pilgerten bis zu eine Million Menschen dorthin zum Erntedankfest. Seit 2022 gibt es einen Gedenk- und Lernort.

Adolf Hitler auf dem Erntedankfest in Bückeberg 1934
Adolf Hitler auf dem Erntedankfest in Bückeberg 1934Imago / Heritage Images

Der Bückeberg bei Hameln ist als Gedenkort für die NS-Diktatur wenig bekannt. Dabei pilgerten bis zu eine Million Menschen dorthin zum Erntedankfest – erstmals vor 90 Jahren. Seit 2022 gibt es einen Gedenk- und Lernort.

Er ist ein Schlüsselort für das Verständnis des Nationalsozialismus. Vor 90 Jahren, am 2. Oktober 1933, pilgerten erstmals Hunderttausende Deutsche zum Bückeberg bei Hameln, um das nationalsozialistische „Reichserntedankfest“ zu feiern. Mit spektakulären Massenveranstaltungen inszenierten Hitler, Himmler, Goebbels und Co hier von 1933 bis 1937 jährlich Anfang Oktober eine heile bäuerliche Welt und verknüpften sie mit „Blut und Boden“-Propaganda und martialischen Schlachtenszenen.

Gedenkort und Open-Air-Dokumentation am Bückeberg

Im vergangenen Jahr wurden der Gedenkort und die Open-Air-Dokumentation am Bückeberg eröffnet. Seitdem wird in einer über die Fläche verteilten Dauerausstellung gezeigt, wie die Massenveranstaltungen dazu dienten, medial verwertbare Bilder einer „Volksgemeinschaft“ zu inszenieren, die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben und die Deutschen auf den Krieg vorzubereiten. Mehr als 150 Gruppenführungen habe es seit 2022 auf dem Areal gegeben, sagte der Geschäftsführer des Dokumentations- und Lernorts Bückeberg, Alexander Remmel, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Dass der historische Ort, wie von manchen befürchtet, zum Wallfahrtsort von Neonazis werden könnte, sei nicht eingetreten.

Ein Plakat wirbt für den Erntedanktag in Bückeberg
Ein Plakat wirbt für den Erntedanktag in BückebergImago / Arkivi

Schon wenige Monate nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 hatten die Nationalsozialisten einen Feiertagskalender entworfen, der den „Führer“ Adolf Hitler zum Erlöser stilisieren und den Deutschen das Ideal einer klassenübergreifenden, aber rassisch einheitlichen „Volksgemeinschaft“ vor Augen führen sollte. Die weiteren Säulen des NS-Jahres neben dem Erntedankfest: der „Tag der nationalen Arbeit“ am 1. Mai, der „Heldengedenktag“ im März, „Führers Geburtstag“ am 20. April, der Reichsparteitag im September in Nürnberg und am 9. November der Gedenktag des Hitlerputsches von 1923.

Ansprache von Propagandaminister Joseph Goebbels

Der Schauplatz, von Hitler-Architek Albert Speer gestaltet, war bewusst gewählt. Bei der Region handele es sich um „ureigensten deutschen Boden“, erfüllt von „freiem kämpferischem Bauerntum“ und um Äcker, die „von den Kämpfen der deutschen Stämme um den deutschen Boden mit Blut getränkt“ worden wären. Auch mit dem in der Nähe vermuteten Standort der Varusschlacht argumentierten die Nazi-Propagandisten, dem Sieg der Germanen über die Römer. Die Weser wurde als ein deutscher Fluss hymnisch überhöht.

Das Fest begann bereits um 6.30 Uhr im Hörfunk mit der Ansprache von Propagandaminister Joseph Goebbels. Reichsbauernführer Walter Darre begrüßte in Berlin Abordnungen aus dem ganzen Reich, in der Reichskanzlei empfing Hitler ihre Gaben „aus Acker und Garten, Weinberg und Heide“. Anschließend flogen er, Vizekanzler Franz von Papen und Reichswehrminister Werner von Blomberg nach Hannover und fuhren an Spalier stehenden Menschen vorbei zum Bückeberg.

Hitlers Triumphzug in offenem PKW

Bis 1937 strömten alljährlich am Sonntag nach Michaelis bis zu 1,3 Millionen Bauern in ihren Trachten auf den Festplatz, der zum großen Kult- und „Reichsthingplatz“ ausgebaut werden sollte. Hitlers Triumphzug in offenem PKW, sein Aufstieg durch die Massen zur pyramidenförmigen Ehrentribüne, die Überreichung der Erntekrone, seine Rede, Fanfarenklänge und Großfeuerwerk: Bis 1937 wurde ein regelrechter Kult entwickelt, der alle Sinne betäuben sollte. Ab 1935 nahm auch die Wehrmacht teil. Auf dem unterhalb des Festplatzes gelegenen Areal folgte ein Manöver aller Waffengattungen.

Eine alte Postkarte vom Reichserntedankfest in Bückeberg bei Hameln
Eine alte Postkarte vom Reichserntedankfest in Bückeberg bei HamelnImago / Arkivi

Die schon weitgehend gleichgeschalteten Medien berichteten von einem „Tag religiöser Weihe, des sich immer wieder Besinnens auf die allgewaltigen Schöpferkräfte unseres gütigen Gottes“, aber auch von einer Zeitenwende, die Stadt- und Landbewohner wieder zusammenführe, und von einem „Sammelbecken des bäuerlichen Lebenswillens“ nach Jahren der Krise für den Bauernstand.

Letztes Erntedankfest auf dem Bückeberg 1937

Ausländische Journalisten und Diplomaten zeigten sich 1933 ähnlich beeindruckt wie der französische Botschafter Andre Francois-Poncet. Trotz seiner prinzipiellen Ablehnung des Regimes war er von der „romantischen Erregung, mystischen Ekstase, einer Art heiligen Wahns“ angetan. Das Erntedankfest auf dem Bückeberg fand 1937 zum letzten Mal statt. 1938 wurde es kurzfristig wegen der Sudentenkrise abgesagt. 1939 hatte der Zweite Weltkrieg bereit begonnen.