Aus räumlich wie emotional großer Nähe beobachten der Bärenforscher David Bittner und der Filmemacher Roman Droux die Grizzlys Nordamerikas. Sie finden eine unerbittliche Natur – und zahlreiche Parallelen zum Menschen.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Der Schweizer Biologe David Bittner gehört zu den bekanntesten Bärenforschern der Welt. Jedes Jahr reist er für Feldstudien in den Katmai-Nationalpark in Alaska. Der Dokumentarfilm von Roman Droux von 2021 begleitet Bittner einen Sommer lang bei seinen Erkundungen, während denen er den Bären oft äußerst nahekommt.
Mit der Dramaturgie eines Abenteuerfilms entwickelt sich daraus eine bildgewaltige dokumentarische Ode, die ihren naturwissenschaftlichen Ansatz aber nie aus den Augen verliert. Überdies lässt der Protagonist bei allem Wagemut auch an seiner reflektierten Haltung teilhaben, die das Verhältnis zwischen Homo Sapiens und Tierwelt auslotet.
“Von einem trägen, abgestumpften Tier hinter Gittern zu einem wesenhaften Individuum”, so habe sich sein Blick auf den Bären verändert, erzählt Roman Droux im Off-Kommentar zu seinem Film. Drei Monate verbrachte der Autor und Regisseur unter den Grizzlybären Alaskas, in einem Gebiet, in dem “mehr Bären leben als Menschen”. Er begleitete den Schweizer Bärenforscher David Bittner, der derlei Exkursionen regelmäßig unternimmt. Aus dem dabei gefilmten Material erstellte Droux die ungewöhnliche Naturdoku “Der Bär in mir”,
Besonders ist nicht nur die große Nähe, die Droux und Bittner zu den starken, potenziell tödlichen Wildtieren aufbauen. Sondern auch der gefühlvolle Blick, den sie auf die so sanft wirkenden Riesen richten. Geradezu zärtliche Worte findet der Biologe Bittner, der manche der Tiere seit Jahren kennt, für seine Lieblinge “Luna” und “Balu”. Dass Wildtiere von den sie beobachtenden Wissenschaftlern Namen zugewiesen bekommen, ist zwar seit Jane Goodalls Schimpansen-Forschung immer üblicher geworden. Auch ansonsten setzte die Britin mit ihrer respektvollen Art der Tierbeobachtung Standards.
Dennoch ist ein Tonfall, wie ihn “Der Bär in mir” pflegt, noch immer selten (erst recht, wenn die Beteiligten Männer sind): mitfühlend, nicht streng wissenschaftlich – und dazu auch eigene Schwächen thematisierend. Bittner und Droux treten angenehmerweise nicht als allwissende und stets mutige Supermänner auf, sondern sprechen vor der Kamera oder aus dem Off freimütig über Ängste, Unsicherheiten und (Selbst-)Zweifel.
Für derlei gibt es auch reichlich Grund: Das Lager der beiden steht auf offenem Feld nah einer von Grizzlybären bevölkerten Lagune, nur ein einfacher elektrischer Drahtzaun “bewacht” die Stoffzelte und Vorräte. Ihre provisorische Schlafstatt schlagen Bittner und Droux zu Beginn des arktischen Sommers auf, wenn die Bären ihre Winterhöhlen verlassen und sich auf Nahrungssuche Richtung Küste begeben. Auf den Wiesen der vom Menschen gänzlich unberührten Landschaft stillen die allesfressenden Tiere ihren ersten Hunger.
Was den Schweizer Filmautor irritiert, erinnert ihn der Anblick der vielen grasenden Bären doch allzu sehr an “die Kühe in unseren Bergen”. Doch eigentlich warten die Tiere auf die Ankunft der Lachse – mit spürbar wachsender Gereiztheit. Denn die Fische, die zum Laichen in ihre heimischen Gründe zurückkehren, bilden für die dort lebenden Grizzlys eine überlebensnotwendige Futterquelle.
Dieser harten Zeit des Wartens auf kalorienreiches Futter widmet sich der Dokumentarfilm ausführlich. In schönen, ruhigen wie teils wahrlich spektakulären Bildern lernt der Zuschauer die Tiere mit ihren unterschiedlichen Wesenszügen kennen: Das Alphatier Bruno, das auch in Zeiten der Not ausschließlich Fleisch frisst. Der alte Oliver, der als Ex-Patriarch noch immer respektiert wird. Oder die erschöpfte Mutter mit ihren drei Jungen, die sie zunehmend verzweifelt durchzubringen sucht. Um ihr schwächstes Kind wird sich denn auch bald ein herzzereißendes Drama abspielen, das die grausame Unerbittlichkeit der Natur zeigt. Zugleich macht die Episode deutlich, dass Filmemacher Droux die Wildnis bei aller emotionalen Nähe nicht verklärt.
So ist “Der Bär in mir” nicht nur ein äußerst lehrreicher, sondern zudem ein berührender, spannender und häufig geradezu atemraubender Film geworden. Auch lustige Momente gibt es: Einmal sind höchst komische Bilder aus einer Fotofalle zu sehen, auf denen sich ein Bär auf überraschend gelenkige Weise genussvoll den Rücken an einem Baum reibt.
Zugleich bietet die dramaturgisch gut aufgebaute und geschickt montierte Doku eine interessante Reflexion über die gar nicht so wenigen Gemeinsamkeiten zwischen Bär und Mensch. Der schön persönlich formulierte und kluge Off-Kommentar des Autors zieht hier eine lockere philosophische Ebene ein – und rundet diesen gelungenen Dokumentarfilm stimmig ab.