„Der Atem des Meeres“ – Tolle Liebeserklärung an das Wattenmeer

Es gibt Landschaften, die auf den ersten Blick spektakulärer wirken als das Wattenmeer. Ein Dokumentarfilm widmet sich diesem Abschnitt der Natur – und wirkt sowohl visuell als auch akustisch überwältigend.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Ein Dokumentarfilm von 2021 über das Wattenmeer zwischen den Niederlanden und Dänemark, der die von den Gezeiten geprägte Küste imposant in Szene setzt. Im ausgeklügelten Wechsel von pittoresken Totalen und teils extremen Naheinstellungen werden Flora und Fauna in mitunter unwirklich schönen Bildern eingefangen, ohne die Natur spirituell zu überhöhen. Dasselbe gilt für die Bewohner dieser Region, deren Alltag ohne Verklärung erscheint.

Pieter-Rim de Kroon zeigt in langen Einstellungen Küste, Meer und Himmel und lässt sie für sich sprechen, zusammen mit der Gischt des Meeres und den vorüberziehenden Wolken, was ganz eigene Kompositionen erzeugt. In solchen Momenten wirkt die Natur scheinbar unberührt, frei von Menschen und Tieren.

Doch das Wattenmeer ist auch die Heimat vielfältiger Tierarten. Schafe weiden an den Küstenstreifen, Robben aalen sich im Matsch, unzählige Vögeln nisten an versteckten Stellen. Und auch der Mensch nutzt das Wattenmeer, zur Erholung und Forschung, aber auch als Übungsgelände fürs Militär. Aus solchen Kontrasten schöpft „Der Atem des Meeres“ seine erzählerische Kraft, die ohne Kommentare oder Interviews auskommt. Dafür hört man im Off den Lotsen, Forscher oder Bauern zu.

Eine bildgewaltige, poetische Liebeserklärung an einen vordergründig unspektakulären Landstrich, die auf Filmmusik verzichtet, weil sie auf ein grandioses Soundkonzept setzt.

Dokumentarfilme über das Wattenmeer gab es schon viele. Und es soll noch immer Menschen geben, die dieser von den Gezeiten geprägten Küste zwischen den Niederlanden und Dänemark wenig abgewinnen können. Gewiss gibt es spektakulärere Landschaften als das Watt. Doch „Der Atem des Meeres“ von 2021 ist anders: Schon weil er sehr viel zeigt, aber nichts erklärt.

Es gibt keinen Kommentar zu Flora und Fauna; auch wo die Bilder aufgenommen wurden, bleibt unerwähnt. Allenfalls an der Sprache der Menschen kann man hören, ob man sich gerade in Deutschland oder den Niederlanden befindet. Doch die wenigen Personen sprechen nicht für oder in die Kamera. Mal unterhält sich ein Mitarbeiter der Küstenwache mit einem Schiffskapitän, mal hört man die Kommandos eines Bauern beim Viehtrieb durchs Watt. Und ganz zu Beginn tuckert ein Mann mit imposantem Vollbart in einem selbstgebauten Gefährt über ein schnurgerades Gleis auf eine Hallig, wo er ein Paket abliefert. Der Postbote tritt noch öfter in Erscheinung, doch selbst, wenn er am Ende einen Weihnachtsbaum abliefert, hat er den ganzen Film über kein einziges Wort gesprochen.

Der Dokumentarfilm von Pieter-Rim de Kroon folgt dem Zyklus der Jahreszeiten und dem steten Wechsel von Ebbe und Flut. Wechsel, oft auch abrupte, sind ein wesentliches Stilmittel des Films. So wie die Bilder zwischen imposanten Totalen und extremen Naheinstellungen changieren oder der Himmel eben noch leuchtend blau war und plötzlich von Wolkengebirgen bedeckt ist, füllt sich der menschenleere Strand unvermittelt mit lärmenden Urlaubern oder lässt sich eine Blaskapelle beim Dorffest auf dem Planwagen durch die Gegend kutschieren. Und urplötzlich wird scharf geschossen. Eine niederländische Militärmaschine donnert im Tiefflug übers Watt und feuert mehrere Salven auf am Strand liegende Panzerwrack.

Der Film verklärt das Wattenmeer also keineswegs zur Idylle, so wie er sich generell fernab des Kitsches bewegt. Dazu gehört auch, dass die Schafe hier nicht nur geboren werden, um friedlich zu grasen, sondern auch, um zur Schlachtbank geführt werden.

Ähnlich intensiv wie durch die atemberaubenden Bilder wird der Film von seiner Tonspur geprägt. Peitschende Schneestürme, sich aneinander reibende Eisschollen, Priele, in denen das Wasser bei Ebbe sanft ins Meer plätschert, tosende Wellen. Wenn Muschelfischer ihrer Arbeit im hüfthohen Wasser nachgehen, hört man sie schnaufen, als ständen sie direkt neben einem. Und wo es eben noch absolut still war, erhebt sich plötzlich das Gekreische unzähliger Seevögel.

In manchen Szenen schießen die Sounddesigner vielleicht etwas übers Ziel hinaus. Wenn zwei kleine Krabbeltiere unter Wasser ein Kampf austragen, klingt das nach Schlachtgetümmel, und als ein Falter Nektar aus einer Blüte saugt, glaubt man einen Menschen zu hören, der die letzten Tropfen mit einem Strohhalm aus einem Glas zieht. Aber womöglich sind diese Klänge auch Natur pur, aufgenommen mit hochempfindlichen Spezialmikrofonen?

Natürlich ertappt man sich angesichts der teils prähistorisch anmutenden Tiere im Wasser bisweilen beim Wunsch nach Informationen, um welche Kreaturen es sich hier handelt, doch die Inszenierung bleibt sich treu. Ebenso wenig wird das rätselhafte Tun von ein paar Männern erklärt, bei Ebbe im Gegenlicht lange Holzstangen in den Sand rammen. Womöglich dienen sie der Markierung. Aber welcher? Die fehlenden Informationen verleihen diesen Bildern etwas Mystisches, ohne solche – vermutlich – alltäglichen Arbeiten zu Wundern zu überhöhen.

Bei aller Reduktion verzichtet der Film auch nahezu ganz auf Musik. Neben der Blaskapelle ist lediglich hin und wieder eine Organistin zu sehen und zu hören, die ihrem betagten Instrument in einer Dorfkirche zarte Töne entlockt; als ein Gewitter aufzieht, entlockt sie ihm dann doch mal alle Register.

„Der Atem des Meeres“ ist eine beeindruckende, souverän inszenierte, poetische Liebeserklärung an das Wattenmeer, deren Bilder zum Teil von geradezu unwirklicher Schönheit sind und dennoch nichts verklären.