Dem Friedensprozess in Kolumbien droht das Scheitern
2016 endete der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Kolumbien. Aber damit begann die Arbeit erst. Immer wieder gab es seither neue Gewalt. Nun könnte die Suche nach echtem Frieden zwischen Regierung und linker Guerilla enden.
Vielleicht war es das eine Attentat zu viel, das den Friedensprozess irreparabel beschädigt hat. Bei einem Bombenanschlag der marxistischen ELN-Guerilla in der kolumbianischen Unruheprovinz Arauca im Grenzgebiet zu Venezuela kamen in der vergangenen Woche mindestens drei Soldaten ums Leben. Zwei Dutzend Menschen wurden verletzt.
Neben dem Verlust von Menschenleben war es aber auch ein Anschlag auf die Friedenspolitik des linken Präsidenten Gustavo Petro. Ihm fällt es immer schwerer, seinen Kurs angesichts von immer neuen Anschlägen beizubehalten. Der Anschlag habe den Friedensprozess praktisch blutig beendet, kommentierte Petro. Wenig später hieß es von Seiten der Verhandlungsdelegation der Regierung: “Der Prozess der Friedensgespräche ist ausgesetzt.” Voraussetzung für eine Fortsetzung sei, dass die Guerilla ihren Friedenswillen unmissverständlich bekenne.
Ob und wie es nun weitergeht, ist ungewiss. Das Vertrauen im Regierungslager scheint weitgehend zerstört. Die ELN wirft der Linksregierung vor, Absprachen nicht eingehalten zu haben. Inmitten dieser Gemengelage kommt nun der katholischen Kirche eine besondere Bedeutung zu, denn sie sitzt als neutraler Beobachter mit am Tisch. Sie hört zu, beobachtet und ergreift auch mal das Wort, wenn niemand mehr für die Opfer des bewaffneten Konflikts spricht.
So wie Prälat Hector Fabio Henao, eine Art Dreh- und Angelpunkt innerhalb der kolumbianischen Kirche, wenn es darum geht, den Friedensprozess zu begleiten. Vor wenigen Tagen warb Henao nochmals für die Wiederbelebung von ausgehandelten Waffenstillständen, denn diese hätten eine unmittelbare positive Auswirkung auf die Lebensumstände der Menschen in den Konfliktregionen: “In Choco, in Arauca oder in Cauca, also in sehr sensiblen Regionen, drängen die Menschen darauf, dass der Waffenstillstand fortgeführt wird. Die Gewalt hat zugenommen, und deshalb ist die Wiederaufnahme des Dialogs eine Priorität”, appellierte Henao in einem Interview mit dem Radiosender Caracol an alle Beteiligten.
Nach Einschätzung Henaos, der innerhalb der Kolumbianischen Bischofskonferenz zuständig für das Verhältnis von Staat und Kirche ist, werden die bisherigen Erfolge der Verhandlungen unterschätzt: Es seien in den Gesprächen zwischen der Regierung und der ELN wichtige Fortschritte erzielt worden, die nicht ignoriert werden dürften. “Im Gegenteil, die Zivilgesellschaft muss sich zusammenschließen, um die Gespräche voranzubringen”, fordert der Kirchenvertreter. Doch die Umfragewerte für Petro sind schlecht, der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet.
Henao erinnert an die bereits vereinbarten Waffenstillstände: “Wir müssen anerkennen, dass dies ein geeignetes und wirksames Instrument ist, um Leben zu retten.” Eine Waffenruhe schaffe in vielerlei Hinsicht ein positives Umfeld für Verhandlungen. Die Kirche ist in der komplizierten Lage, derzeit die einzige gesellschaftliche Kraft zu sein, zu der alle Beteiligten Vertrauen haben. “Unsere Aufgabe ist es, wieder Türen zu öffnen, wenn es Rückschläge gibt”, sagte Henao jüngst der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Der katholischen Kirche kommt auch deshalb eine besondere Rolle zu, weil es eine historische Verbindung zur ELN-Guerilla gibt. Die Gruppe war 1964 von Studenten, katholischen Radikalen und linken Intellektuellen aus Protest gegen die Armut der Kleinbauern gegründet worden. Eine ihrer Ikonen war der aus einer angesehenen Arztfamilie stammende katholische Priester Camilo Torres (1929-1966). Das Verhältnis von Marxismus und Christentum kommentierte Torres einst mit dem Satz: “Warum sollen wir streiten, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist, wenn wir beide wissen, dass Hunger tödlich ist?”
Torres starb 1966 bei Kämpfen mit Regierungstruppen. Es war nach kolumbianischen Quellen sein erster Kampfeinsatz überhaupt. Laut der Wahrheitskommission zur Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts war die ELN im Zeitraum von 1986 bis 2016 für rund 18.600 Tote verantwortlich.