„Dein Verlust“ – Neuer „Tatort“ aus Wien

Neuer Wiener „Tatort“ über den Mord an einem Clubbesitzer, in dem auch Kriminal-Oberstleutnant Moritz Eisner unter Verdacht gerät und seine Kollegin Bibi Fellner seine Unschuld beweisen muss.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Ein Wiener Clubbesitzer wird erschossen, an Verdächtigen herrscht kein Mangel. Doch dann zeigen Zeugenaussagen und Videoaufnahmen, dass Kriminal-Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) in der Tatnacht vor Ort war, woran sich dieser nicht erinnern kann. Plötzlich selbst im Zentrum der Ermittlungen, ist er auf den Beistand seiner Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) angewiesen. Mit der besonderen Inbrunst der Verzweiflung geht sie daran, die Unschuld ihres Partners zu beweisen, was nebenbei auch die schon lange schwelende softe Romanze zwischen ihnen wieder anheizt.

Der Film von Katharina Mückstein beginnt mit dem feuchtfröhlich begangenen 60. Geburtstag von Eisner, entwickelt sich davon ausgehend aber zum stringenten Krimi, der sich routiniert und mit einigen einfallsreichen Bildideen in die „Tatort“-Reihe einfügt. Trotz der eher bemüht eingespeisten Einblicke ins Privatleben der Ermittler hat der Film seine besten Momente in der dezent eine neue Stufe betretenden Beziehung zwischen den Hauptfiguren.

Im höheren Alter kann man schon mal Dinge (und Menschen) vergessen. Leider vielleicht auch ein spätes Techtelmechtel unter Kollegen mit zarten amourösen Handgreiflichkeiten … Aber gleich einen Mord aus Vergeltungsabsichten?

Kriminal-Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) feiert seinen 60. Geburtstag – obwohl der alte Haudegen des Wiener „Tatort“-Teams besonders in dieser Folge noch wesentlich älter anmutet und agiert. Und da man eben nicht mehr der Jüngste ist, zeitigt die nostalgische Disconacht mit Familie und Freunden sogleich die heftigsten, jedoch erwartbaren Konsequenzen: den mächtigsten aller Kater, den stets sogenannten Filmriss – Eisner kann sich an so gut wie gar nichts mehr erinnern – sowie einen ermittelnden Beamten unter Mordverdacht!

Der Fall in „Dein Verlust“, an dessen Tatort Eisners Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) zunächst allein auf verlorenem Posten ausharrt, präsentiert sich auf den ersten Blick als wenig komplex und eher geradlinig motiviert. Er führt das Team in die Wiener Halbwelt und in Clubs wie das stylishe „Miramar“, wo angeblich auch Härteres als Wodka-Shots gereicht wird und eine Klientel verkehrt, die sich der Falkner (oder Fa7con3r) nennt … Insgesamt ein Milieu, das sich selbst kennzeichnet durch das explizite Bekenntnis: „Wir glauben hier nicht an die Polizei!“

Dass dort Clubbesitzer Otto Hübner tot aufgefunden wird, mit einem präzisen Kopfschuss wie exekutiert, verwundert daher niemanden so richtig, bietet sich Bibi & Moritz doch gleich in Hübners nächstem Umfeld eine üppige Motivlage dar. Ehemaligen wie aktuellen Geschäftspartnern, darunter der ausschließlich im Panikmodus agierende Georgios Sideris (Eidin Seyed Jalali), ja sogar Hübners Ehefrau (Daniela Kong) wäre Ottos Eliminierung durchaus zuzutrauen.

Blöd nur – um nicht zu sagen misslich und höchst verdächtig, dass auch Eisner am fraglichen Abend (seiner Party) spät noch im „Miramar“ aufgekreuzt sein und eine Unterredung mit Hübner verlangt haben soll. Er wurde gesehen, und es gibt Videoaufnahmen, die einen untersetzten alten weißen Mann beim Verlassen des Clubs durch die Hintertür zeigen – Moritz Eisner, keine Frage! Der sich, wie bekannt, an keine Details des Abends erinnern kann.

Außer sich beteuert er seine Unschuld, und da kein mit Vernunft begabtes Wesen (weder vor noch hinter dem Fernsehschirm) ihm auch nur einen halben Fußbreit ab vom rechten Wege zutraut, muss es sich wohl so verhalten, dass Moritz Opfer eines perfiden, gut orchestrierten Komplotts geworden ist, mit der Absicht, seine Reputation, ja seine ganze bürgerliche Existenz nachhaltig zu zerstören.

Nachdem auch DNA-Spuren Eisners entdeckt werden, kann der in seinen Kurzauftritten wie immer präzis „nach dem Buch“, doch mit menschlichem Augenmaß agierende Vorgesetzte „Ernstl“ Rauter (stets in Schlips und Kragen: Hubert Kramar) gar nicht anders, als seinen Freund vorerst vom Fall abzuziehen; die Interne Ermittlungseinheit verlangt gar U-Haft für Eisner.

So ist dies zur Hälfte Bibi Fellners Fall, dem sie sich, nur noch unterstützt durch die hochschwangere Kriminalassistentin Meret Schande (Christina Scherrer), mit der besonderen Inbrunst der Verzweiflung widmet. Stärker denn je wird in dieser Episode das partnerschaftliche Motiv zwischen Bibi und Moritz in den Blick genommen. Mit Panik in den Augen realisiert sie, dass er nun ihr Einziger ist („Ich lerne keine Leute kennen.“).

So herzerwärmend das nach langen Jahren der Tändelei, die zu nichts führte, auch anzusehen ist, so sollte gegen die softe Romanze auch einmal die harte Realität kriminalpolizeilicher Ermittlungsarbeit gestellt werden: Viele „Tatort“-Teams von Kiel bis München leiden an akuter Überalterung, und nur selten gelingen leider Buch und Regie ihr würdiger Film-Exitus.

Die beiden Helden in Wien würden keine gesundheitliche Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit mehr überstehen, unter geringster Stressbelastung agieren sie (vor allem Eisner) höchst unprofessionell, indem Alternativszenarien nicht zur Kenntnis genommen werden. Und wenn sie einen Pistolenmord-Verdächtigen stellen wollen, tragen sie keine Schutzwesten und heben nicht einmal ihre Dienstwaffen. Dann doch lieber gleich ein österreichisches „Mord mit Aussicht“ im grünen Alpental!

Aber so weit sind sie in Wien dann doch noch nicht: Für Bibi Fellner wird es nun persönlich, und unter Einsatz aller ihrer Kräfte (und mit reichlich Nachtarbeit) gelingt es ihr schließlich, eine motivierende Struktur hinter Eisners Verwicklung in den Mordfall zu recherchieren. Was sie dabei lernt, ist schockierend für sie wie für ihren Partner, betrifft es doch unmittelbar ihr gemeinsames Nahfeld. So gerät, was begann als Moritz Eisners Fall und sich entwickelte zu Bibi Fellners, am Ende zum Fall für die ganze (Fernseh-)Familie.

Regisseurin Katharina Mückstein hat die motivischen Angebote des Drehbuchs wie der „Tatort“-Historie allgemein – ein Filmriss; der Ermittler, gegen den ermittelt wird; späte Rache alter Fälle – in ein stringent erzähltes Kriminalstück überführt, ohne dabei allzu große Ambitionen auf besondere filmische Innovationen oder serielle Disruptionen zu offenbaren.

Einzig die Beziehung Bibi-Moritz wird endlich einmal auf den kritischen Punkt geführt – ob er in einer nächsten Lieferung seine Erinnerung in diesem Punkt wohl gänzlich wiedererlangt haben wird? Dezent und teilweise amüsant akzentuiert werden Eisners „Wechseljahre“ durch das wiederkehrende Motiv erschlaffender Ballons. Und der Blick, mit dem er Fellner bedenkt, als sie einmal gar zu herzhaft ins Wiener Würstl beißt, spricht ebenfalls Bände.