Das Warten hört nicht auf

Die Tradition ist geblieben: Menschen lieben Adventskalender. Der Markt bietet mehr denn je. Zum Wundern und zum Schmunzeln. Die frohe Botschaft dabei: Man darf auch verzichten.

Der Frau ist die Sache sichtlich peinlich. Mit zwei Adventskalendern unterm Arm steht sie an der Kasse eines Discounters und erregt so die Aufmerksamkeit einer anderen Kundin. Die guckt einmal, zweimal, um dann schwer mit ihrer Fassung zu ringen, als sie entdeckt, was die Frau da zu kaufen beabsichtigt: Adventskalender für – Hunde.

„Die soll ich nur besorgen“, entschuldigt sich die Käuferin und plötzlich entspinnt sich zwischen den beiden Frauen – ausgerechnet beim Discounter – ein kultur- und konsumkritischer Gedankenaustausch. Fazit: Früher war (fast) alles besser. Ganz sicher aber das mit den Adventskalendern. Da gab‘s nämlich nur drei Sorten: einen mit Türchen, der jedes Jahr wieder ausgepackt wurde, einen mit Schokolade hinter den Türchen oder einen selbstgebastelten.

Ja früher. Dem bieder-bürgerlichen Idyll vergangener Zeiten hat Thomas Mann ein literarisches Denkmal gesetzt. „Unter solchen Umständen“, so schreibt er in den „Buddenbrooks“, „kam diesmal das Weihnachtsfest heran, und der kleine Johann verfolgte mit Hilfe des Adventskalenders, den Ida ihm angefertigt und auf dessen letztem Blatte ein Tannenbaum gezeichnet war, pochenden Herzens das Nahen der unvergleichlichen Zeit“.

Lang, lang ist‘s her… Der Konsumrausch hat mittlerweile auch die Adventszeit erfasst. Saucen, Sexzubehör, Steckschlüssel – Ihre Vorlieben mögen noch so besonders sein, Sie finden garantiert einen Adventskalender dazu. Das muss man den Marketingstrategen lassen: Sie wissen, wie man Bedürfnisse weckt.

Traditionalisten mag das auf die Palme bringen. Es gibt aber auch Menschen mit christlichem Hintergrund, die darin durchaus etwas Positives sehen können: „Immerhin“, so sagt ein 57-jähriger Theologe aus dem Bekanntenkreis, „halten die Leute am Adventskalender fest. Der bedeutet ihnen offenbar etwas – und wenn es nur die Erinnerung an die Kindheit ist.“

In der Tat. Das Warten auf Weihnachten hört nicht auf. Man darf sich wundern, aber man muss nicht den Untergang des Abendlandes herannahen sehen, wenn man die Adventskalender-Angebote durchstöbert. Weihnachten ist – bei Licht betrachtet – schon lange nicht mehr allein das Fest der Geburt Jesu, sondern ein Fest der Familie, das auch von Menschen begangen wird, die sich nicht ausdrücklich als Christinnen oder Christen verstehen. So ist es auch mit dem Advent: Zwar hat er seinen theologischen Sinn als Zeit der Buße nicht ganz verloren, aber er hat eine Art „Bedeutungserweiterung“ erfahren: Mehr als früher geht es um die Vorfreude auf das noch größere Fest. Das ist menschlich. Allzu menschlich.

Angemerkt sei am Schluss noch dies: Auch im Kapitalismus gibt es keinen Konsumzwang, sondern alle Freiheit, die Adventszeit und den dazugehörigen Kalender nach eigenen Vorstellungen zu füllen.

Wie es zum Beispiel die Leute tun, die einen „umgekehrten Adventskalender“ gestalten. Dabei bekommt man nichts, sondern gibt etwas. Ein kleines Geschenk an jedem Tag – für Menschen, an die sonst keiner denkt.