Das Tor zum Orgelparadies

Die Region zwischen Elbe und Weser zählt zu den weltweit reichhaltigsten Orgellandschaften. Mittendrin macht die Orgelakademie Stade seit zwei Jahrzehnten das Instrument populär – auch mal mit ungewöhnlichen Maßnahmen.

Anne-Katrin und Manuel Gera mit Orgelwurm Willibald, der auch in Stade Kinder erläutert, warum die Orgel ein tolles Instrument ist
Anne-Katrin und Manuel Gera mit Orgelwurm Willibald, der auch in Stade Kinder erläutert, warum die Orgel ein tolles Instrument istDieter Sell / epd

Stade. Über den Köpfen der Gäste in der Stader St.-Cosmae-Kirche erhebt sich ein wahrer Orgelberg. Mehr als fünf Meter hohe Pfeifen strecken sich bis unter das Gewölbe der Kirche, füllen mit ihrem Bass den historischen Kirchenraum. „Königin der Instrumente“, so wird die Orgel auch genannt. Und in St. Cosmae lässt sich gut nachspüren, was damit gemeint ist: Kein anderes Musikinstrument verfügt über so viele Klangfarben, über einen so großen Tonumfang. Vor 20 Jahren ist in Stade die Orgelakademie gegründet worden, um Schätze wie die Barockorgel in St. Cosmae möglichst vielen Menschen nahezubringen.

Die Akademie öffnet das Tor zu einem wahren Orgelparadies, denn allein im Elbe-Weser-Dreieck rund um Stade erklingen mehr als 80 Denkmalsorgeln aus fünf Jahrhunderten. Früher hatten hier große Orgelbaumeister ihre Werkstätten. Sie konnten ihre Instrumente gut verkaufen, weil die fruchtbare Marschenregion reich war, und die frommen Bauern dafür genügend Geld übrig hatten.

Eine Weltpremiere

„Sie haben an der Küste von Amsterdam im Südwesten bis Hamburg und dann weiter in den Raum nördlich von Ribe in Dänemark die allererste geschlossene Orgellandschaft der Welt geschaffen“, schwärmt der Freiburger Musikwissenschaftler Konrad Küster. Männer wie Berendt Huß, Erasmus Bielfeldt, Georg Wilhelmy und vor allen der barocke Orgelbaumeister Arp Schnitger (1648-1719) begründeten den Glanz dieser Kunst.

Die Arp-Schnitger-Orgel in Hamburg-Neuenfelde gehört zu den berühmtesten Orgeln des Nordens
Die Arp-Schnitger-Orgel in Hamburg-Neuenfelde gehört zu den berühmtesten Orgeln des NordensStephan Wallocha / epd

Um diesen einmaligen Schatz noch intensiver zu erforschen, zu pflegen und erklingen zu lassen, ist am 19. Juni 2002 die Orgelakademie als Verein zur Förderung der Orgelkultur im Elbe-Weser-Raum gegründet worden. Seither kümmert sich die Initiative um touristische Projekte wie Orgelexkursionen, Konzertreihen und Entdeckertage. Sie gibt Publikationen heraus, Unterricht und Lehre gehören auch zu ihren Aufgaben. Eine Herzensangelegenheit der künstlerischen Mitarbeiterin und Orgelpädagogin Annegret Schönbeck ist dabei das Projekt „Alte Orgeln für junge Menschen“.


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Dass Orgelbau und Orgelmusik in Deutschland seit 2017 zum immateriellen Weltkulturerbe gehören, damit kann Schönbeck Kinder und Jugendliche wenig für die riesigen Instrumente begeistern. Was besser funktioniert: Orgeln lassen sich auch körperlich erfahren. So bittet Schönbeck Schüler schon mal, das Holz der großen Orgel in St. Cosmae anzufassen, um den Klang am eigenen Leib zu spüren. Oder sich auf der Orgelempore auf den Rücken zu legen, damit sich die Vibrationen der Pfeifen auf den Körper übertragen.

Selbst ausprobieren, das ist der Königsweg. Schönbeck organisiert Foren, damit Jugendliche an historischen Orgeln üben können. Und wenn die Kinder nicht in die Kirche zur Orgel kommen, bringt sie die Orgel eben zu den Kindern – als Bausatz, im Orgelkoffer, als Modell. „Die Orgel kann Gefühle wie Glück oder auch Trauer ausdrücken, in jeder Lebenslage. Es ist ein Instrument, das die Menschen im Innersten erreicht“, ist die Musikerin und Pädagogin überzeugt.

Der vorlaute Orgelwurm Willibald

Besonders beliebt ist Willibald, ein vorlauter Orgelwurm, den der brandenburgische Kirchenkreismusiker Manuel Gera und seine Frau Anne-Katrin aus der Taufe gehoben und vor einiger Zeit in Stade vorgestellt haben. Die blaue Handpuppe assistiert mit ihrem knapp zwei Meter langen Stoffkörper bei Kinderkonzerten und begeistert vor allem die Kleinen. „Kinder unter zehn Jahren spricht er mehr an als ein lebendiger Mensch“, erzählt Gera.

An vergangenen Sonnabend ist nun das 20-jährige Bestehen der Akademie mit einem Festprogramm für große und kleine Orgelfans in den Stader Altstadtkirchen gefeiert worden. Dazu gehörten Führungen, kleine Konzerte und die „offene Orgelbank“, auf der unter Begleitung des künstlerischen Akademieleiters Martin Böcker jeder selbst die historische Bielfeldt-Orgel in der St.-Wilhadi-Kirche ausprobieren konnte. Dem Orgelberg Töne entlocken: Da war das Staunen inbegriffen. (epd)