“Das Milan-Protokoll” – Nahost-Thriller ohne Schwarz-Weiß-Moral

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Im irakisch-kurdisch-syrischen Grenzgebiet wird die deutsche Ärztin Martina (Catrin Striebeck) von sunnitischen Stammesmilizionären entführt, die dem Islamischen Staat (IS) nahestehen. Dabei gerät nicht nur sie zwischen die Fronten, sondern auch ihre Entführer, die inmitten der sich ständig ändernden politischen Situation das Überleben ihrer Familien sichern wollen.

Zwischen psychologischem Drama und Spionagefilm voller Zwischentöne nähert sich die Inszenierung von Peter Ott aus dem Jahr 2017 den verwirrenden Interessenskonflikten anhand individueller Schicksale an. Dabei gelingt es dem sehenswerten Film überzeugend, für Erklärungsansätze jenseits moralisierender Gut-Böse-Schemata zu werben.

Ärztin Martina wird dabei zum Spielball der Interessensgruppen zwischen allen Fronten. Doch die verlaufen hier nicht nur entlang sich verschiebender Grenzen, sondern vor allem durch die Seelen der Bewohner.

Zwischen Gereiztheit, Kumpanei und Vertrauen erzählt “Das Milan-Protokoll” mit genauem Blick für Gesten und Zwischentöne, wie sich so eine Situation anfühlt. Wenn keiner der Anführer hinschaut, suchen beide Seiten auch nach menschlicher Nähe. Die Gefangene hofft auf Erlösung, die Entführer, unter ihnen auch Frauen, die sich um die Hygiene und die Ernährung zu kümmern haben, wechseln zwischen Empathie und Drohgebärde, willkürlicher Erniedrigung und Anteilnahme.

Für die Zuschauer ist das ein Verwirrspiel, bei dem die vielen Zwischentöne die Oberhand gewinnen gegenüber einer simplen Aufteilung zwischen Gut und Böse. Die Stärke des “Milan-Protokolls” liegt in der genauen Zeichnung der Figuren, die auf den Schachbrettern der Mächte hin- und hergeschoben werden und im Verlauf der Handlung einem starken physischen wie psychischen Verfall ausgesetzt sind.