Filmbeauftragter bei der Berlinale 2023: Das Kino wird bleiben

Pfarrer Roland Wicher ist Filmbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz. Im Interview spricht er über seine Aufgaben.

Berlinale-Palast am Potsdamer Platz
Berlinale-Palast am Potsdamer PlatzAlexander Janetzka,

Herr Wicher, was macht ein Filmbeauftragter?
Roland Wicher:
Ich kümmere mich in erster Linie um die Betreuung von Filmfestivals und Festivaljurys. Die meiste Arbeit bedeutet für mich die Berlinale, wo ich die sechsköpfige ökumenische Jury durch das Festival navigiere: Da muss eine Auswahl getroffen und ein genauer Tagesplan erstellt werden. Die oft internationalen Jurymitglieder müssen sich auch in der Stadt zurecht­finden. Und dann gibt es das Inhaltliche, dass ich die Jury natürlich auch ins Kino begleite und die Filme sehe, die die Jurymitglieder sehen, und mir selber eine Meinung bilde.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Kinofilm erinnern?
Das war als Kind: „Unten am Fluss – Watership down“ (Groß­britannien 1978). Das war eine Geschichte zwischen rivalisierenden Hasenbanden, eine Art Fantasy-Zeichentrick. Ein ernster Film, der mich sehr bewegt hat!

Kino kann ja die ganze Gefühlspalette bespielen: Drama, Komödie, Thriller oder Action, politischer oder Dokumentarfilm – was ist Ihr Lieblingsgenre?
Einer meiner Lieblingsfilme, den wir damals auch ausgezeichnet haben, ist „In den Gängen“ von Thomas Stuber. Eine ganz zarte und vorsichtig erzählte Liebesgeschichte in einem riesigen Großmarkt, wo die Mitarbeiter mit Gabelstaplern durch die Gänge fahren. Dann lernt man die Lebensgeschichte dieser Menschen kennen. Der Film hat auch durchaus politische Zwischentöne hat, weil er in diese Arbeitswelt hineinführt. Aber es gibt natürlich auch Filme wie die des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof, der leider immer noch in Gefangenschaft im Iran lebt. „Es gibt kein Böses – There is no evil“ ist ein Film über die Todesstrafe in verschiedenen Episoden aus verschiedenen Perspektiven – sehr aufwühlend. Das Kino ist ein Kosmos für sich mit vielen Themen, die Menschen bewegen. Gerade die Berlinale als politisches Festival.

Über 400 Filme werden dort gezeigt – nach welchen Kriterien treffen Sie Ihre Auswahl?
Tatsächlich entdeckt man in jedem Film irgendwie einen Anknüpfungspunkt zum Glauben. Moralische, ethische Themen sind wichtig und menschliche Begegnungen. Es ist ein breiter Spielraum, den unsere Jury da hat. Nicht selten ist es vorgekommen, dass ein Film, der von uns ausgezeichnet wurde, dann auch den Goldenen Bären bekommen hat.

Es gibt die Sektion des Inter­nationalen Forums des jungen Films und des Panoramas. Für beide Kategorien gibt es jeweils ein Preisgeld in Höhe von 2500 Euro, gestiftet von der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz. Das können gerade die jungen und weniger bekannten Filme­macher*innen gut gebrauchen. Das ist also auch ein Stück Film- und Kulturförderung von kirchlicher Seite aus.

Kino hat es heute nicht leicht. Streaming-Dienste holen Filme ins Wohnzimmer. Auf dem Dorf oder in der Kleinstadt gibt es manchmal gar kein Kino mehr. Warum bleibt Kino für Sie unverzichtbar?
Im Kino hat man durch den Raum und das Zusammensein mit anderen Menschen, deren Lachen und Popcornknistern man mitbekommt, eine andere Atmosphäre. Das ist ein soziales Erlebnis: Die Art, wie die Sinne angesprochen werden, der Ton, die große Leinwand, das ist es, was Film will. Es gibt beeindruckende Produktionen, die man im Heim­kino oder auf dem Laptop schauen kann, aber mich interessiert, wie das Menschen bewegt. Darum bin ich davon überzeugt, dass Kino als Ereignis, als Event bleiben wird, sei es das kleine Schachtelkino am Ort, das vom Liebhaber betrieben wird, oder das Open Air auf der Sommerwiese. Das ist was anderes als zu Hause zu sitzen und die Stopp-Taste zu drücken, weil man sich noch etwas aus dem Kühlschrank holen will.

Das Attraktive an der Berlinale sind ja nicht nur die Filme, sondern auch die Möglichkeit, mit den Filmschaffenden hinterher ins Gespräch zu kommen …
Das ist Festivalluft, die man da schnuppern kann. Das ist spannend, weil natürlich die Produktion eines Films viel komplexer ist als das, was man nachher auf der Leinwand sieht: Man erfährt Details, warum eine Entscheidung für eine bestimmte Szene gefallen ist, bekommt etwas mit von den Menschen, die hinter der Kamera stehen und Regie führen, die verantwortlich sind, dass eine bestimmte Geschichte erzählt, bestimmte Bilder gezeigt werden. Das ist toll! Es gibt eine Vielfalt an Stoffen und Anliegen, die werden nicht immer von Menschen aus anderen Kino­kulturen verstanden. Gerade da findet internationale Begegnung statt. Die Berlinale öffnet den Blick in die ganze Welt – ein Riesen­tanker!

Nicht jeder Film schafft es danach in die Kinos …
Im vergangenen Jahr haben wir den Film „Klondike“ mit einem unserer Preise ausgezeichnet, eine Geschichte, die im Osten der Ukraine in einem bombardierten Haus spielt. Die Wand ist weg und wie auf einer Kinoleinwand öffnet sich der Blick aufs Schlachtfeld. Ein Paar hat entschieden: Sie bleiben dort, die Frau ist schwanger. Eine ganz dichte Geschichte, der Film hat aber in Deutschland bislang keinen Verleih. Das ist unsere Hoffnung, dass durch unsere Arbeit die Aufmerksamkeit auf solche Filme gelenkt wird.

Was wünschen Sie sich zur Unterstützung der Filmarbeit? Was braucht der Film, damit es ihn auch in Zukunft noch gibt in dieser Form des Kinos?
Ich denke, dass die Präsentation von Filmen wichtiger wird, dass man zum Beispiel auch in einer Kirche einen Film zeigen kann. Natürlich muss man abklären, dass das rechtemäßig gesichert ist. Das kriegt man aber über die Produktionsfirmen hin. Im Einzelfall kann man auch Filme zeigen, die keinen Verleih haben, im Rahmen von Ausnahmegenehmigungen. Fantasie im Blick auf Möglichkeiten, Film zu zeigen und Kino als Erlebnis möglich zu machen, an unterschiedlichsten Orten. Das ist wichtig.