Das ist der Weg

Die Kirche erneuern – kann der Blick auf die Reformation helfen?

Stellen Sie sich vor: Sie sind eine Malerin. Oder ein Maler. Mit Liebe, Herzblut und all Ihrer Hingabe arbeiten Sie an einem Bild. Seit Wochen. Es soll ein Kunstwerk werden; etwas, das nicht nur andere, sondern auch Sie selbst erstaunen lässt. Sie mühen sich, tragen immer wieder neue Striche und Farben auf – aber es will einfach nicht gelingen. Es ist schier zum Verzweifeln. Irgendwann haben Sie die Sache satt: Blatt von der Leinwand reißen. Zerknüllen. Weg damit. Ein ganz neuer Anfang muss her.

So ähnlich mögen sich vor vielen Jahren Martin Luther, Johannes Calvin und die anderen Reformatoren der Kirche gefühlt haben. Und so fühlen sich auch heute noch unzählige Menschen, die für eine bessere Welt kämpfen: Wie sehr sie sich auch mühen, die Dinge zu verbessern, es will nicht gelingen. So, wie wir ein Bild zerreißen, ein Gedicht oder einen Aufsatz zerknüllen – auch die Reformatoren mögen oft genug kurz vorm Verzweifeln gewesen sein.

Aber: Die Reformatoren haben nicht aufgegeben. Sie, die die Kirche ändern wollten, wegführen wollten von Fehlentwicklungen und Verkrustungen, fanden immer wieder Kraft zum Weitermachen. In Gottes Wort, in der Bibel.

Auch heute, gut 500 Jahre nach der Reformation, sehnen sich viele wieder nach einer Erneuerung der Kirche. Mitgliedszahlen und Finanzen schrumpfen. Missbrauch und der Umgang damit haben die Kirchen viel Vertrauen gekostet. Und die Frage, warum sich die Kirchen weltweit nicht auf eine gemeinsame Haltung zu Krieg und Frieden einigen können – aktuell etwa im Ukrainekrieg –, warum sie nicht klarer und eindeutiger zur Schöpfungsbewahrung angesichts des Klimawandels aufrufen, lässt die Selbstbezeichnung als „Gemeinschaft der Heiligen“ wie eine hohle Phrase dastehen.
Klingt es da billig, wenn man sagt: Schaut auf die Reformatoren?

Natürlich lässt sich die Lage der Kirche im 14. und 15. Jahrhundert nicht so ohne weiteres mit der von heute vergleichen. Die Welt hat sich weitergedreht. Die Menschen und ihr Denken haben sich verändert – übrigens auch und gerade durch die Reformation. Wenn man heute jemandem sagt: „Du musst in die Bibel schauen, Gottes Wort wird dir Kraft und Weisung geben zum Weitermachen“, dann mag das selbst in Kirchenkreisen fast wie ein allzu frommes Ausweichmanöver erscheinen. Für Luther war klar: In der Bibel steht’s drin – ich muss nur darauf vertrauen und danach suchen.

Wenn wir heute so etwas hören oder lesen, etwa in einer Predigt oder einem Zeitungsartikel, dann mögen wir nicken. Und denken: Ja klar, aber was heißt das jetzt konkret?

Es ist ja gar nicht so, dass überall Resignation herrschte. Die Kirche ist voller guter und gutgemeinter Ansätze zur Verbesserung. Anders als der Maler zerknüllen die Menschen in den Gemeinden nicht die Leinwand und werfen sie fort. Neue Gottesdienstformen gibt es zuhauf. Die Gospelwelle hat Zehntausende in Kirchen und Konzerte gebracht. Kunst und Kultur, politische Gesprächskreise, Tauffeste, Abenteuerfreizeiten, Familienveranstaltungen, Schöpfungspreise – meine Güte, man kommt ja kaum zu Ende, wenn man alles aufzählen will, was da fleißige und engagierte Menschen in den vergangenen Jahren in den Kirchen auf die Beine gestellt haben und es auch weiter tun werden.

Und genau das ist es; genau das ist die Antwort auf die Frage, wie es weitergehen soll mit der Kirche: Weiter glauben, arbeiten, mühen, kämpfen. Sich weiter anstrengen. Auch diskutieren und über die Richtungen streiten.

Es mag im Moment schlicht nicht abzusehen zu sein, wohin die Reise geht. Aber das war es für die Reformatoren damals ja noch weniger. Viele ihrer Vorgänger sind gescheitert. Und auch Luther, Calvin und Co. wussten zeit ihres Lebens nicht, wie die Sache ausgehen würde.

Weitermachen, als ob es gelänge. Im Glauben und Vertrauen darauf, dass es irgendwann geschieht. Das ist der Weg.

Und wer weiß, vielleicht sind wir ja längst der Anfang einer neuen Reformation.