Das Gewissen Südafrikas ist verstummt

Der frühere Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu, hat sich sein Leben lang für Gleichheit, Gerechtigkeit und Versöhnung eingesetzt. Nun ist der Mann mit den verschmitzten Augen im Alter von 90 Jahren gestorben.

Gestenreich: Desmond Tutu bei einer Pressekonferenz im Dezember 2009
Gestenreich: Desmond Tutu bei einer Pressekonferenz im Dezember 2009Christina Felsche / epd

Frankfurt a.M./Kapstadt. Unbequeme Standpunkte schienen ihm nichts auszumachen – im Gegenteil. Desmond Tutu, der frühere Erzbischof von Kapstadt, war so etwas wie das Gewissen Südafrikas und schreckte vor kontroversen Themen nicht zurück. Gerne setzte er seinen Humor ein, um Brücken zu bauen. Sein Markenzeichen waren sein mitreißend-japsendes Lachen und die verschmitzten Augen. Am Sonntag starb der Weggefährte Nelson Mandelas im Alter von 90 Jahren in Kapstadt, wie seine Stiftung mitteilte. Damit ist eine von Südafrikas einflussreichsten Stimmen verstummt.

Neben Nelson Mandela, dem ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, war Tutu der wohl berühmteste Kämpfer gegen die Apartheid. Er lief bei Protestmärschen vorn mit, machte im Ausland auf die Menschenrechtsverletzungen in seinem Heimatland aufmerksam und wurde dafür von der Apartheid-Regierung drangsaliert. Für seinen unermüdlichen Einsatz erhielt er 1984 den Friedensnobelpreis. 1990, als Mandela nach 27 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, nahm Tutu ihn die erste Nacht in Freiheit in seinem Haus auf. Nach dem Ende der Apartheid wurde er 1995 von Präsident Mandela zum Vorsitzenden der Wahrheits- und Versöhnungskommission ernannt.

Anklage gegen Tony Blair gefordert

Nach seinem Abschied vom Amt des Erzbischofs 1996 wurde er des Engagements nicht müde. Er setzte sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen und das Recht auf Sterbehilfe ein, forderte die Anklage des früheren britischen Premierministers Tony Blair wegen Kriegsverbrechen im Irak, und legte sich mit der Regierung von Präsident Jacob Zuma an, der von 2009 bis 2018 im Amt war.

Im April 2015 spricht Tutu bei einem Dankgottesdienst für Philip Potter, den verstorbenen Generalsekretär des Weltkirchenrats. Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs richtet das Mikrofon
Im April 2015 spricht Tutu bei einem Dankgottesdienst für Philip Potter, den verstorbenen Generalsekretär des Weltkirchenrats. Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs richtet das MikrofonStephan Wallocha / epd

Wenn Tutu vorgeworfen wurde, zu politisch zu sein, pflegte er zu sagen, sein Glaube verlange es, zu handeln. „Wenn ein Hungernder zu Jesus kommt, sagt dieser nicht: ‚Lass uns beten und auf Wiedersehen’“, erklärte er einmal. „Wenn ein Hungernder zu Jesus kommt, gibt er ihm zu essen.“

Geboren wurde Desmond Mpilo Tutu am 7. Oktober 1931 in einer kleinen Goldgräber-Stadt im Transvaal als Sohn eines Lehrers und einer Hausangestellten. Er wurde selbst Lehrer, gab den Beruf aber nach drei Jahren auf, weil die Apartheid-Regierung den „Bantu Education Act“ verabschiedet hatte, der die Rassentrennung in allen Bildungseinrichtungen vorschrieb. Tutu studierte Theologie und wurde 1960 als Geistlicher der anglikanischen Kirche ordiniert.

Erster Schwarzer an der Spitze der Kirche

In den darauffolgenden Jahren studierte und lehrte er in Großbritannien und Südafrika. 1975 wurde er in Johannesburg zum ersten schwarzen Dekan berufen, drei Jahre später zum Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrates gewählt. In dieser Zeit, als es in den Townships, den Schwarzenvierteln, zu Aufständen kam, wurde Tutu zum Vorkämpfer der Anti-Apartheid-Bewegung – auch wenn er stets betonte, keine politischen, sondern religiöse Motive zu verfolgen. 1986 wurde Tutu Erzbischof von Kapstadt und damit der erste Schwarze an der Spitze der anglikanischen Kirche in Südafrika.

Mit seiner Haltung, beispielsweise zur Homosexualität, ging er immer wieder auf Distanz zu seiner Kirche. Als seine Tochter eine niederländische Ärztin heiratete, stellte er sich hinter die beiden. Mpho Tutu, eine Pfarrerin, musste ihr Amt aufgeben, weil die anglikanische Kirche Homosexuellen die Priesterweihe verweigert. Vater Desmond Tutu feierte bei der Hochzeit mit und sagte, er sei traurig über die Haltung seiner Kirche.

Einsatz für Versöhnung

Auf seinen Reisen nach Gaza, Zypern und in die sudanesische Bürgerkriegsregion Darfur setzte er sich in den vergangenen Jahren mit anderen Nobelpreisträgern für die Beendigung der Konflikte ein. Von Tutu bleibt sein Einsatz für Gerechtigkeit, Gleichheit und Versöhnung: zwischen den Völkern und Geschlechtern, zwischen Schwarz und Weiß, Arm und Reich. (epd)