Eigentlich suchte Gabriele Lämmerhirt-Seibert vor mehr als zehn Jahren nur ein neues Ehrenamt. Dass sie deswegen in den „Knast“ gehen und neue Freundschaften schließen würde, damit habe sie nicht gerechnet. „Ich wollte einfach Menschen unterstützen, die Hilfe brauchen“, erzählt die ehemalige Altenheimseelsorgerin, die in Langenhagen bei Hannover wohnt. Als ihr dann jemand vorschlug, sie könne doch eine Einzelbetreuung im Gefängnis übernehmen oder Gruppenangebote für Inhaftierte machen, sagte sie zu. „Warum nicht? Schließlich sind Betrüger und Mörder auch Menschen und haben dieselbe Würde wie wir.“
Und so begann sie zusammen mit ihrem Mann, alle 14 Tage in die Justizvollzugsanstalt Sehnde östlich von Hannover zu gehen, um mit den Inhaftierten dort zwei Stunden lang Schach und Go, ein asiatisches Strategiespiel, zu spielen. „Das musste ich erst lernen“, sagt die 68-jährige Langenhagenerin. Genauso habe es Zeit gebraucht, bis die Inhaftierten Vertrauen zu ihr gefasst haben. „Beim Spielen muss man konzentriert sein, da kann man höchstens flüstern.“ Trotzdem komme man sich näher, erzählt Lämmerhirt-Seibert, die zu ihrer Sicherheit immer ein Notrufgerät dabei hatte. Die Gefangenen hätten sie immer wieder taxiert und geprüft, wie vertrauenswürdig sie sei. „Vielleicht hätte es umgekehrt sein müssen. Aber ich hatte keine Angst.“
Mit der Zeit wuchs Vertrauen. Denn anders als die Gefängnis-Mitarbeitenden haben Ehrenamtliche Schweigepflicht. Und so sei sie mit vielen Inhaftierten ins Gespräch gekommen und habe auf dem vergitterten Flur vor dem Gruppenraum manche Lebensbeichte gehört. „Ich habe mich als Klagemauer gesehen und zugehört. Mitunter habe ich auch nachgefragt und mit Worten Entlastung geschaffen“, erzählt die gelernte Seelsorgerin. Bei praktischen Problemen wie einer Wohnungsauflösung habe sie dabei geholfen, dass die Möbel eingelagert werden konnten.
Es ist ein schönes Gefühl, anderen wichtig zu sein
Seit 2014 unterhält die engagierte Frau auch teils enge Briefkontakte mit Inhaftierten, deren Adressen sie vom Schwarzen Kreuz erhalten hat, einem christlichen Verein für Straffälligenhilfe. „Die Briefe sind für die Inhaftierten ein Tor zur Außenwelt.“ Man tausche Gedanken aus, schreibe von Hobbys, und sie schreibe auch von ihren Ausflügen. Doch nicht jeder Kontakt entwickele sich positiv, betont Lämmerhirt-Seibert, die schon als 14-Jährige zahlreiche Brieffreunde hatte. „Manche Briefeschreiber wurden pampig. Andere schreiben nur, was sie für Wünsche haben. Solche Kontakte habe ich abgebrochen.“
Aber es gebe auch die anderen Bekanntschaften, zumindest zwei, aus denen durch die zahllosen Briefwechsel Freunde wurden und über die Entlassung hinaus auch blieben. „Das ist einfach so gewachsen“, sagt Lämmerhirt-Seibert, die zeitlebens wohl schon 2000 Briefe geschrieben hat. Erklären könne sie dieses Geschenk nicht. Aber sie danke ihren Brieffreunden dafür. „Es ist ein schönes Gefühl, wenn man einem anderen Menschen wichtig ist. Und schön ist es auch, wenn man einen Menschen begleiten darf, der sein Leben nach der Haft meistert.“
