Das ganz große Trotzdem

Für die einen ist Ostern wie ein großer Jubelruf. Andere mögen da nicht einstimmen, zu groß sind Schmerz und Trauer. Doch auch sie will der Auferstandene zurückrufen ins Leben – so wie einst Maria Magdalena am Grab.

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„Der Himmel lacht, die Erde jubilieret.“ So hat Johann Sebastian Bach sich das Osterfest vorgestellt und eindrücklich in Musik verwandelt. Osterfanfare pur, Osterjubel, der die so coronageplagte Seele erfassen will. Ostern ist hier das ganz große Trotzdem! Die Schöpfung läuft über vor Freude. Berge tanzen, das Meer tost fröhlich, Flüsse klatschen in die Hände, die Tiere springen munter umher in einer blühenden Welt, die die Sinne berauscht. Diese Auferstehung reißt heraus aus Lähmung und Müdigkeit und streckt den Trauernden und den von Verlusten Geplagten liebevoll die Hand entgegen: Komm zurück ins Leben!

Der Himmel lacht, die Erde jubiliert. Weil Jesus auferstanden ist. Weil zum ersten Mal der Tod das Leben nicht auslöschen konnte. Der Tod hat ausgedient. Der verfinsterte Himmel am Karfreitag, das Erd­beben, die Felsen, die in Stücke gesprungen sind – das alles war vorgestern, ist vorbei, erledigt, jetzt wird gefeiert.

Kein Tod, keine Tränen

In dieser strahlenden Welt, die keinen Tod und keine Tränen und kein Leid mehr kennt, in dieser völlig fremden Welt findet sich Maria aus Magdala am frühen Ostermorgen überhaupt nicht zurecht. Ihre Welt ist eine andere. Sie hat einen Menschen verloren und ihre Träume, sie ist an ein Ende gekommen. Sie will ins Grab und sich um den toten Jesus kümmern. Auch wenn die Trauer ihr schier das Herz zerreißt, es muss ja getan werden. Die Welt ist so, auch für so viele, die einen Menschen an das Virus verloren haben, die um ihre Existenz und um ihre Zukunft bangen oder die schlicht nicht mehr wollen und nicht mehr können. Die Klage überfüllt das Herz, wie bei Maria. Deshalb will sie ins Grab.

Bischöfin Kirsten Fehrs
Bischöfin Kirsten FehrsMarcelo Hernandez / Nordkirche

Und dann ist das leer! Zwei Engel, ein Gärtner, aber kein Toter. Nicht einmal der Tod ist sicher. Dabei hätte Maria das jetzt so sehr gebraucht, wo doch ihre Welt zusammengebrochen ist, ihre Hoffnungen zerstoben, ihre Liebe so unerfüllt. Sie hätte den toten Jesus gebraucht, um sich an ihm festzuhalten. Wenn schon nichts mehr hält, dann will sie sich doch wenigstens an ihrem Schmerz festhalten. Aber der Tote ist einfach nicht mehr da. Wie verstörend ist das, wenn das Grab leer ist, auf das man sich eingerichtet hat.

So gut kann ich Maria verstehen und innerlich mit ihr ans Grab gehen. Es stimmt doch traurig, dieses schon wieder abgedämpfte Osterfest, das ausgebremste Leben­, seit einem Jahr schon, so grausam für junge Menschen, die sich entfalten und die Welt entdecken wollen. Es macht traurig, wie Menschen ihre Existenz, ihre Träume, ihren Lebensinhalt dahinfahren sehen.

Der Stachel des Todes

Was passiert mit uns angesichts der verwirrenden Ratlosigkeit im Umgang mit den Infektionszahlen? Was passiert mit dem Vertrauen in unsere Gesellschaft, in unseren Zusammenhalt, in unsere Zukunft? Die trauernde Maria darf doch gern für uns mitweinen. Diese Oster­geschichte versteht uns so gut. Viermal weint Maria, von Osterjubel keine Spur. Es geht eben nicht so schnell, von der Traurigkeit ins Feiern, vom Karfreitag ins Ostern zu kommen. Es geht nicht so schnell, den tiefen Widerspruch zu akzeptieren oder gar zu überwinden, dass der Stachel des Todes nicht mehr schmerzen soll, es aber mit Maria so viel zu betrauern gibt.

Ostern verwirrt, macht den Osterzeuginnen sogar erst einmal Angst, so erzählt es das Osterevangelium. Das Leben bricht herein in die Gräber und überrumpelt geradezu. Zuerst ein Störfall, dann ein einziges Glück. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Er schweigt und statt seiner spricht Jesus: „Maria!“ Auch das ist Ostern. Die Innenseite sozusagen. Nicht nur das laute, brausende Leben, sondern auch diese leise, zärtliche Nähe. „Maria!“ In dieser so trostlosen Szene am leeren Grab nur der Name. Und sie versteht sofort dies: „Fürchte dich nicht. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Überglücklich fühlt sie seine Nähe. So viel möchte sie sagen, fragen, möchte ihn festhalten.

„Rühr‘ mich nicht an“

Doch Jesus sagt: Rühr mich nicht an. Er gehört nicht mehr in diese Welt mit ihren Gräbern. Abstand halten, wie vertraut klingt das! Maria kann die Grenze in das Reich des ungetrübten Lebens nicht überschreiten. Aber sie weiß: Wir sind und bleiben verbunden. Er kennt mich. Er nennt mich beim Namen. Diese stille, zärtliche Begegnung hat sie ins Leben zurückgerufen. „Ich habe den Herrn gesehen“, sagt sie später den anderen.

Ein glücklicher Moment, der dich wieder ins Leben zurückführt. Der dich wieder bei dir selbst ankommen lässt, weil du bei deinem Namen gerufen wirst. Ostern schreibt viele solcher Lebensgeschichten. Trotz allem – auch in diesem Jahr.

Unser Autorin
Kirsten Fehrs ist Bischöfin im Sprengel Lübeck und Hamburg in der Nordkirche.

Redaktion und Verlag Ihrer Kirchenzeitung wünschen Ihnen gesegnete Ostern!