Das etwas andere Kirchenlied

Düster und mit wilden Gitarren-Riffs singen sie gegen Pegida-Anhänger und andere „besorgte Bürger“. Das Lied der Pasewalker Kirchenrock-Band „Stop&Go“ läuft jetzt auf Youtube.

Coole Altrocker bei der Arbeit
Coole Altrocker bei der ArbeitScreenshot Youtube

Pasewalk. „Kein schöner Land in dieser Zeit“, zirpt die Gitarre fast zärtlich. Der Videoclip zeigt einen menschenleeren Kleinstadt-Bahnhof. In gleißendem Sonnenlicht schreitet ein Mann über den Bahnsteig. Schiebermütze. Instrumentenkoffer. Er begrüßt zwei Freunde. Ein bisschen Wildwest ist dabei, und ein bisschen (N)Ostalgie. Dann zerschneidet ein sirenenhafter Ton die Filmromantik…

„Wir hätten das schöne Volkslied ja gern weitergesungen“, sagt Pastor Johannes Grashof. „Aber es bleibt uns inzwischen im Hals stecken.“ Also machten er und zwei Musiker aus der Pasewalker Kirchenrockband Stop&Go diesmal ein anderes Lied. Eines, das es nun aus der Schublade zum Musikvideo geschafft hat. Das Lied „Spaziergänger“: Einen starken, sich ins Ohr fressender Song gegen Rechtsradikale, der selbst radikal Position bezieht und überraschend wütend klingt für einen Kirchensong. Inzwischen ist „Spaziergänger“ auf Youtube zu sehen.

Durch die Straßen der Stadt

Da ziehen sie also los, die drei Musiker auf dem Clip: Johannes Grashof, Dietmar Wohlgemuth, Eugen Herkt. Unterlegt von harten Gitarrenriffs und kraftvollem Schlagzeug laufen sie durch die Straßen der Stadt, cool wie alte Rocker und ohne alle Starallüren. Sie erinnern ein bisschen an die jungen Beatles auf ihrem Plattencover in der Abbey Road. Und was sich aus diesem Intro entwickelt, sieht nicht nur gut aus, sondern klingt auch eingängig.

Auf dem Weg zur Kirche erzählen sie von den „Spaziergängern“, Montagsdemonstranten, die mit Fahnen und Galgen die Straßen besetzen, Hass verbreiten und „Wir sind das Volk!“ brüllen.

Auf dem Video wirken weitere Pasewalker mit: Anne Wohlgemuth, Tochter des Bandmitglieds Dietmar Wohlgemuth, die mit ihrer rockigen Stimme einige Textpassagen einsingt, ebenfalls ihr Sohn Noah.

Der Songtext wendet sich mit klaren Worten gegen die „besorgten Bürger“, die „Enkel der braunen Omas und Opas“: „Ihr seid nicht die Lösung, ihr seid das Problem“, geht an die Adresse der „Pegida“-Anhänger, die so sinnvoll seien wie Fußpilz. „Ihr habt den Ruf der Freiheit gestohlen, ihr seid nicht das Volk, damit ihrs nur wisst.“ Tatsächlich entstand der Song nach den Pegida-Demos, die 2015 liefen, den Islam verteufelten und Hass gegen Fremde schürten. „Wir sind das Volk!“, war der Schlachtruf. „Gekapert von der Bürgerrechtsbewegung 1989“, wie Grashof sagt.

Laut und deutlich

Der kurz zuvor in Pasewalk angekommene Pastor war schockiert. Rechtsradikales Gedankengut, angekommen in der Mitte der Gesellschaft. Aus seinem Gefühl der Beklemmung heraus entstand der Text zum „Spaziergänger“. „Wenn ein Teil der Deutschen diesen Ruf zur Legitimierung einer fremdenfeindlichen Haltung missbraucht, müssen andere ein anderes ‚Wir sind das Volk!‘ dagegen singen.“

Und zwar ebenso laut und deutlich. Wütend, verletzend wirken die Zeilen über die wütenden, hasserfüllten Demonstranten. „Ihr seid die Schande Europas, der Fehler im Betriebssystem“. Ein Text ohne Weichzeichner und christlich-versöhnenden Kerzenschein. Vielleicht zu verletzend für den kirchlichen Gebrauch?

Anne Wohlgemuth singt mit auf dem Spaziergänger-Videoclip Screenshot: Youtube
Anne Wohlgemuth singt mit auf dem Spaziergänger-Videoclip Screenshot: YoutubeSenkbeil, Christine

„Meine Frau fand die Zeilen zu extrem und die Bandkollegen irgendwie auch“, sagt Johannes Grashof. Der Liedtext wurde kontrovers diskutiert und mehrfach abgeändert. Aber Grashof wollte diese Schärfe. „Sie ist biblisch. Auch die Propheten aus dem Alten Testament nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn sie Missstände kritisieren.“ Anschläge in Kassel, Halle und Hanau folgten. Im März 2020 war die Zeit wohl reif, als Grashof und Wohlgemuth mit ihren Gitarren zur Mahnwache für die Opfer von Hanau auf den Pasewalker Marktplatz gingen und dieses unveröffentlichte Lied spielten.

„Wir schlagen zum ersten Mal einen politischen Ton an und das finde ich gut“, sagt Dietmar Wohlgemuth, Küster der Pasewalker Kirche. „Ich bin geprägt durch meine Eltern. 1933 haben auch alle weggeguckt und gesagt: Hitler hält sich nicht lange. Die Geister der Vergangenheit dürfen nicht salonfähig werden.“

Bunter Gegenentwurf

Das Lied ging unter die Haut und wurde ein Erfolg an diesem Abend. Staatssekretär Patrick Dahlemann, Gast bei der Mahnwache, ermunterte die Männer, damit ins Studio zu gehen und versprach finanzielle Unterstützung. Im August besuchten sie dann tatsächlich ein Tonstudio im Rheinland. Kurz darauf lag eine CD vor. Im September wurde das Musikvideo in Pasewalk und Schloss Bröllin gedreht.

Und natürlich fehlt er nicht ganz, der Verweis auf den christlichen Kontext der Macher. Den vierstimmigen Melodie-Satz schrieb die Schwester des Pastors, Annemarie Kistemann-Grashof. Acapella singen Dorothea Bade, Annemarie Kistemann-Grashof, Stefan Lindner und Simon Kubisch die Schlussverse ein, ganz im Stil eines Kirchenchors. Ihren Gegenentwurf: „Unser Land ist bunt, unser Land ist offen, es hat Platz für Kirchen, Synagogen und Moscheen. Wer Schutz sucht, darf auf Menschlichkeit hoffen, wenn euch das nicht passt, dann könnt ihr ja gehen.“

„Wir mussten dieses Lied singen“, so Grashof. „Und vielleicht gibt es da draußen in diesem Land noch ein paar Leute, die mitsingen.“