Das Erste zeigt eindrucksvolles Drama um drei Schwestern

Auf einem Bauernhof im Schwarzwald begegnen sich drei Frauen in fürsorglich-angewiderter Hassliebe. Das beeindruckende Charakterdrama “Wann kommst du meine Wunden küssen?” erzählt ihre Geschichte.

Mit einem schwindelerregenden Kameraflug über eine Staumauer im düster-verschneiten Schwarzwald beginnt “Wann kommst du meine Wunden küssen?” von Hanna Doose. Dazu pulsieren dunkle Elektro-Klänge des Komponisten David Letellier. Die Wuchtigkeit des Symbols für etwas bedrohlich Aufgestautes lässt noch nicht erahnen, welchen leichtfüßigen und tragikomischen Ton dieser Film anschlagen wird. Das Erste zeigt das Drama am 6. Oktober spätabends.

In den Prolog sind drei Frauen geschnitten, die auf unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln unterwegs sind, jede mit sich allein in der weiten Landschaft. Ganz in Leder nimmt Maria (Bibiana Beglau) auf einem geliehenen Motorrad die Kurven im Schwarzwald; “ein langer Ritt, elf Stunden”, hatte sie vor dem Aufbruch auf einer Berliner Dachterrasse dem Besitzer der Maschine (Marc Hosemann) westernheldinnenhaft zugeraunt und ihm ein paar Drogen, Bargeld und einen Zungenkuss abgerungen. In aller scheinbar bedürfnislosen Coolness, versteht sich.

Ihre Schwester Kathi (Katarina Schröter) streift dagegen zu Fuß durch den Wald, im schweren Lodenmantel und mit einer angeleinten Ziege an ihrer Seite. Wie eine Schamanin hat sie die Augen mit Ruß umrandet und blickt ahnungsvoll in die Ferne. “Maria kommt”, wird sie sagen und die Frage, woher sie das weiß, unbeantwortet lassen. Mit Mystery hat der Film nichts am Hut. Aber womit dann?

Die dritte Protagonistin, Laura (Gina Henkel), galoppiert in Stallklamotten auf einem Rappen durchs tote Gehölz. Das ist kein Freizeitvergnügen, sondern ihr nachhaltiges Verkehrsmittel. Sie hält einen Hof am Laufen, der ihr nicht gehört, und führt womöglich ein Leben, das sie nicht will.

Alle drei Frauen treffen oder besser: prallen nun auf jenem abgelegenen Anwesen aufeinander, das Maria und der krebskranken Kathi gehört. Dort hat sich Lauras Freund Jan (Alexander Fehling) in sein Tonstudio zurückgezogen. Während Laura mit grimmiger Kraft versucht, ihren Ziegen etwas Milch abzutrotzen, unterstützt er sie nur halbherzig.

In der Folge werden ganze Gefühlslandschaften jäh umgepflügt, unter denen es offenbar schon länger brodelte. Denn Jan war früher mit Maria zusammen, damals in Berlin, als sie noch erfolgreiche Filme drehte und Jan als DJ die Technoszene aufmischte. Damals, als Laura noch eine gefragte Schauspielerin und Marias Muse war. Doch das autarke Landleben-Idyll, in das man aus der Kreativszene floh, entpuppte sich als weit mühsamer und unfreier als erwartet. Oder – wie Maria mit vermeintlichem Oberwasser kommentiert: “Kunst ist eben was anderes als Gartenarbeit.”

Mit architektonischer Genauigkeit hat Hanna Doose das Fundament ihrer Geschichte über zwischenmenschliche Verwerfungen und begrabene Träume gebaut. Das erlaubt ihr und ihren stets Spannung erzeugenden Schauspielern die größtmögliche Freiheit. Vor zwei Kameras wird um Lebensentwürfe und alte Kränkungen gerungen, immer wieder durchsetzt mit abrupten Gesten der Zuneigung.

Das präzise Gefüge des Stofflichen, Begrenzenden und Situativen, mit all den knarzenden Dielen und umherzuschleppenden Matratzen, reduziert die Charaktere nicht auf festgelegte Typen, sondern erlaubt eine Konzentration auf die wechselnden Rollen, die sie füreinander einnehmen. Auf diese Weise gesteht die Inszenierung den Figuren Ambivalenzen und Übergängigkeiten zu, und es entsteht eine Dynamik, die das Stockende der Lebensläufe erst in seiner ganzen absurden Pracht aufscheinen lässt.

Die Kamera hält dabei die Balance zwischen Unruhe und Statik, verfällt nicht ins manieriert Unbeholfene, sondern hält lakonisch drauf, wenn die Unwuchten ihre destruktive, letztlich aber doch heilsame Schwungkraft entfalten. Es ist eine diebische Freude, diesen bis in die letzte Faser glaubwürdigen Figuren bei ihrem Ringen um Liebe und Selbstakzeptanz zuzusehen.

Das ironisch gebrochene Pathos spiegelt sich auch im musikalischen Bogen des Films, der mit einer Zeile aus dem Falco-Song “Out of the Dark” überschrieben ist und immer wieder Zuflucht findet in Franz Lehars Operette “Das Land des Lächelns”. Das daraus entnommene Liebeslied “Dein ist mein ganzes Herz” schmettern die drei Frauen buchstäblich am Rande des Abgrunds in gebotener Schiefheit als kathartische Perfomance – zwischen Schlagerliebesschmalz und Hölle.