Das Depot ohne Museum

Stephan Hloucal schlängelt sich durch enge Gänge, vorbei an dicht bepackten Regalen. Neben-, auf- und übereinander lagern hier elektrotechnische Geräte, Produktionsanlagen und Produkte vorwiegend von mitteldeutschen Unternehmen der vergangenen 120 Jahren. Er geht vorbei an Reihen voller Radios, messtechnischer Geräte, Oszillografen und archaischer Computer. Den meisten Geräten sieht man ihren Seltenheitswert nicht an. Ganz oben auf dem Regal unter der Decke lagert beispielsweise die Vorführtechnik des Iosono-Soundsystems für kommerzielle Kinos. Damit hoffte das Ilmenauer Fraunhofer-Institut für digitale Medientechnologie in den 1990-er Jahren die Audiowelt umzukrempeln. Es kam dann anders. „Lange Geschichte“, sagte Hloucal und liefert die Kurzversion: „Es war zu aufwendig, zu teuer.“

Mehrere Tausend Exponate umfasst die Sammlung bereits. Aber seit 2012 hat sie kaum jemand zu Gesicht bekommen. Denn das Thüringer Elektromuseum und das dazugehörige Thüringer Industriearchiv existieren seitdem nur in Form dieses Depots im Erfurter Zughafen. Im Jahr 2000 hatte eine dauerhafte Ausstellung nebst Schülerlabor in Erfurt eröffnet. Doch nach einem Eigentümerwechsel des Gebäudes musste das Museum nach zwölf Jahren aus seinen Räumen ausziehen.

Träger ist der 1990 gegründete Verein „Thüringer Museum für Elektrotechnik“ mit etwa 50 Mitgliedern. „Wir werden nicht jünger“, sagt der Vorsitzende Hloucal. Er hofft, dass sich nun bald eine dauerhafte Lösung für das Museum finden wird.

Die Vereinsmitglieder reisen quer durch die Republik und übernehmen – nicht selten von alternden, ehemaligen Entwicklungsingenieuren – einzigartige Technik, die ansonsten vermutlich im Müll landen würde. Prüfstände für messtechnische Geräte aus DDR-Produktion beispielsweise faszinieren nicht jeden Erben. Für die Enthusiasten vom Elektromuseum handelt es sich dagegen um „wahre Schätze Thüringer Industriegeschichte“. Bislang schienen diese aber leider „verdammt zu ewiger Bedeutungslosigkeit“, sagt Hloucal.

Viele Exponate leiden unter den Bedingungen der Lagerung in dem ungeheizten Backsteingebäude am ehemaligen Güterbahnhof. Wenn nicht bald gehandelt werde, drohe in absehbarer Zukunft ein unwiederbringlicher Verlust an kulturellem Erbe und an wissenschaftlichen Zukunftsoptionen, warnt Hloucal. Denn schließlich solle das geplante neue Museum ja kein Selbstzweck sein, sondern der jungen Generation die Faszination und die Möglichkeit zur Erprobung dieser Technik vermitteln.

Ist es angesichts dieser Dimension vermessen, das künftige Museum sogar noch größer zu denken? Denn inzwischen will der Verein nicht mehr nur ausgewählte Objekte aus dem eigenen Bestand präsentieren. „Wir erachten es für notwendig, den Rahmen größer zu spannen und die Industriekultur Mitteldeutschlands in den musealen Fokus zu nehmen“, schrieb der Verein vor zwei Jahren an Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke).

Denn in den Depots so mancher Thüringer Museen, Privatsammlungen, Wirtschaftsunternehmen, Archiven oder Vereinen schlummerten weitere „Schätze“, die mit den überregional bedeutsamen Sammlungen des Thüringer Museums für Elektrotechnik in einem Gesamtbild präsentiert werden könnten. Es wäre ein solides Fundament für ein vielfältiges, identitätsstiftendes, „technisches“ Landesmuseum mit hochwertigen, repräsentativen und zum Teil international einmaligen Exponaten der Industriegeschichte, so die ihm vorgetragene Idee des Vereins. Ramelow ließ die Staatskanzlei jedoch ablehnend antworten.

Vielleicht fände ja auch ein Iosono-Audiolabor Platz in einem solchen Landesmuseum. Die Besucher könnten auch am ausrangierten Elektronenmikroskop des Uni-Klinikums Jena experimentieren. Oder eine Erfindung bestaunen, die einst millionenfach den Büroalltag erleichtern sollte, bevor sie sang- und klanglos dem Neuen weichen musste: Hloucal hat einen Nebengang seines Depots angesteuert, zieht eine Schreibmaschine aus dem Regal: „Das ist eine Erika Elektrik 3006, vermutlich aus dem Jahr 1989. Das ist das einzige Exemplar, das es gibt. Dieses Modell ist nie in Serie gegangen.“ Erst seien die Wende und danach der Siegeszug der Computertechnik schneller gewesen.