„Dafür fordere ich alles“

Die „Haller Bachtage“ waren für Martin Rieker immer auch ein geistliches Ereignis. Die 31. Veranstaltung war seine letzte. Der Kirchenmusikdirektor tritt in den Ruhestand.

„Je länger ich mich mit Bach beschäftige, desto weniger verstehe ich, wie man so etwas komponieren kann.“ Das sagt Martin Rieker, er meint die h-Moll-Messe. Und fügt hinzu: „Bach macht demütig.“ Das sagt der Musiker, unter dessen Leitung sich die „Haller Bachtage“ zu einem herausragenden kulturellen Ereignis entwickelt haben – nicht nur in der kleinen Stadt Halle, sondern in der ganzen Region. Nun sind die 31. Bachtage unter der Ägide von Kirchenmusikdirektor Rieker zu Ende gegangen, und er verabschiedet sich in den Ruhestand.
Zum Abschluss gab es noch einmal Johann Sebastian Bach in höchster Potenz, anregender Vielfalt und in überraschenden Zusammenhängen. Gleich zwei monumentale Chorwerke des Meisters waren zu hören, die Johannes-Passion und die h-Moll-Messe.
Ein Nachtkonzert unter dem Titel „Bach all’italiano“ präsentierte Bach’sche Arrangements von Werken seiner italienischen Kollegen Alessandro Marcello und Antonio Vivaldi, wiederum bearbeitet als Konzerte für Blockflöte, Cello, Laute und Cembalo. Und wer weiß schon, dass Mozart Präludien und Fugen aus dem „Wohltemperierten Klavier“ für Streichquartett adaptiert hat? In Halle erklangen sie, präzise und zugleich temperamentvoll musiziert vom Ligna-Quartett.
Frühbarocke Musik, etwa von Samuel Scheidt und Heinrich Schütz, gespielt in historischer Aufführungspraxis und zugleich in vitaler Frische, führte in den kulturellen Zusammenhang, aus dem Johann Sebastian Bach hervorgegangen ist. Seine Klavierkonzerte zeigten wiederum die Universalität dieser Musik im kraftvollen Klang eines modernen Flügels.
Martin Rieker hat die Bachtage immer auch als geistliches Ereignis verstanden, Musik als Verkündigung, ganz im Sinne des Komponisten, der seine Werke ausdrücklich „soli Deo gloria“ schuf, allein Gott zur Ehre. Im Festgottesdienst am 3. Februar dirigierte Rieker nicht nur Mozarts Krönungsmesse, sondern stand auch auf der Kanzel der St. Johanniskirche und predigte über Mose, dem Gott im brennenden Dornbusch erscheint (2. Mose 3,1-6).
Auch in der Musik, sagte Rieker, könne man etwas von der Herrlichkeit Gottes und von seiner unaussprechlichen Kraft spüren. Dann „mag uns wohl ein Schauer über den Rücken laufen“. Wer im Chor singt, habe das vielleicht schon erfahren. „Es geschieht etwas mit uns – unerklärlich. Doch die Geistes-Gegenwart führt uns auch zur Klarheit.“
Solche Klarheit erfuhr die Gottesdienstgemeinde, hörte das Publikum. Mit dem Bach-Chor hat Martin Rieker einen souveränen, zuverlässigen Klangkörper, der ihm bis in feinste Nuancen folgt. Dass unter den 80 Sängerinnen und Sängern so viele junge Leute sind, ist eine Frucht der Kinderchorarbeit des Kirchenmusikdirektors in Halle.
Der prächtige Chorklang und das umfangreiche Repertoire sind das Fundament der Bachtage. Wenn im Gloria der h-Moll-Messe unbändiger, überschäumender Jubel ausbricht, wenn im Credo der spannungsvolle Kontrast zwischen Tod und Auferstehung Jesu wirkungsvoll inszeniert wird, wenn der Chor im Sanctus den Klang wie ein kostbares Tuch webt – dann wird das spürbar, was Martin Rieker die Herrlichkeit und Kraft Gottes nennt.
Das Niveau der Bachtage konnte er wohl nur erreichen, weil etwas in ihm brennt. „Wenn Sie etwas gut finden, dann sind Sie Feuer und Flamme dafür“, charakterisierte Präses Annette Kurschus den Musiker. „Und Sie können durchaus auch Feuer und Flamme gegen etwas sein… – beides gehört wohl untrennbar zusammen.“
Er selber sagt es so: „Ich will Leute begeistern durch hochkarätige Musik. Dafür fordere ich alles.“