„Da wird es doppelt knirschen“

Der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang hat den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), einen neuen Versorgungs-Sektor in der Langzeitpflege einzurichten, scharf kritisiert. Das sei „gut gemeint, aber im Ergebnis schädlich und sogar gefährlich“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Lauterbach will die gesetzlichen Grundlagen für eine Mischform zwischen ambulantem und stationärem Bereich schaffen. Diesen dritten Sektor bezeichnete er als „eine Art der stambulanten Versorgung“. Das fehle bisher in Deutschland.

Die neue Regelung soll Lauterbach zufolge Teil des Pflegekompetenzgesetzes werden, das er bis zum Sommer vorlegen will. Der Minister sagte, es gebe einen großen Bedarf an einer Langzeitpflege für Menschen, die nicht ins Heim wollten, aber aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit nicht mehr zu Hause leben könnten. „Stambulant“ würde in diesem Zusammenhang bedeuten: Man lebt in einer Wohnung, die pflegerisch rund um die Uhr so versorgt wird, dass Betroffene dort auch bei notwendigen höheren Pflegegraden bis zum Lebensende bleiben können.

„Die Problemanalyse ist absolut nachvollziehbar“, sagte Rothgang. Aber dafür mit der stambulanten Pflege einen neuen Sektor zu schaffen, sei rückwärtsgewandt. Der Bremer Wissenschaftler befürchtet eine große Zahl an Abgrenzungsproblemen, die unter anderem mit Blick auf die Vergütung von Leistungen eine Flut juristischer Streitfälle auslösen könnten.

Hinweise darauf gebe es schon jetzt beispielsweise in betreuten Wohnformen und in der teilstationären Tagespflege. Rothgang: „Im Moment haben wir zwischen der ambulanten und der stationären Pflege eine Grenze, an der es schon knirscht. Künftig haben wir zwei Grenzen, da wird es doppelt knirschen.“

Rothgang sagte, die Lösung sei aus seiner Sicht eine sektorfreie Versorgung, bei der jeder Mensch wohnen könne, wie er wolle – „die Pflege kommt unabhängig von der Wohnform modular als Leistung dazu und wird nach einheitlichen Regeln abgerechnet“. Die Umsetzung dieses Konzeptes sei auch nicht einfach, „aber zukunftsweisend“.

Pflegebedürftige Menschen könnten so autonom wählen, betonte Rothgang. „Fällt die Grenze zwischen der ambulanten und der stationären Pflege weg, so öffnet das auch den Raum für die Entwicklung neuer und innovativer Versorgungsstrukturen, die sich stärker an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen als an den Grenzen einer ordnungsrechtlichen Zuordnung orientieren.“