„Curveball: Wir machen die Wahrheit“ – Schwarzer Humor bei One

Schwarzhumorige Geheimdienst-Farce um einen deutschen Biowaffen-Spezialisten, der auf die Falschaussage hereinfällt und nicht verhindern kann, dass die USA im Jahr 2003 damit den Irakkrieg rechtfertigen.

Schwarzhumorige Geheimdienst-Farce um einen deutschen Biowaffen-Spezialisten, der auf die Falschaussage hereinfällt und nicht verhindern kann, dass die USA im Jahr 2003 damit den Irakkrieg rechtfertigen.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Anfang 2000 wendet sich der Asylbewerber Rafid Alwan (Dar Salim) an den Bundesnachrichtendienst und behauptet, im Irak an der Herstellung von Anthrax beteiligt gewesen zu sein. Aus einer Mischung aus Minderwertigkeitsgefühlen, Paranoia und blindem Stolz macht die unglaubwürdige Behauptung die Runde und dient der USA schließlich als Grund für ihren Kriegszug 2003 gegen den Irak.

Aus diesen historischen Tatsachen formte Regisseur Johannes Naber 2020 eine schwarzhumorige Geheimdienst-Farce mit aufwühlenden Befunden: Im Zentrum steht der redliche, aber wenig durchsetzungsfähige Biowaffenexperte Arndt Wolf (Sebastian Blomberg), dessen unergiebige Suche nach Massenvernichtungswaffen und Zweifel an der Glaubwürdigkeit Alwans von seinen Vorgesetzten schlicht zur Seite gefegt werden. Die biederdeutschen Beamtenseelen Schatz (Thorsten Merten) und Retzlaff (Michael Wittenborn) träumen vom international wahrgenommenen Geheimdienst-Coup und sind dafür bereit, am öffentlich demonstrierten Glauben an die vermeintlich sensationelle „Quelle“ um jeden Preis festzuhalten.

In knappen, scharfen Dialogen, mit trockenen Slapstick-Anflügen und einem melancholisch grundierten schwarzen Humor verwandelt der sehenswerte Film die reale Geschichte in ein bitteres modernes Trauerspiel, in dem Geltungsdrang und gekränkte Eitelkeiten die große Weltpolitik bewegen.

Es wäre zynisch, Zeiten nachzutrauern, in denen noch eine einzelne, von unten angeschubste oder von oben instrumentalisierte Lüge ausreichte, um die Weltpolitik zu verändern. Heute übertrumpfen sich populistische Regierende wie Teile der Bevölkerung gegenseitig darin, einen flächendeckenden Nonsense-Nebel zu verbreiten. Das eine wie das andere entfesselt zerstörerische Dynamiken, aber die Einzellüge lässt sich im Kino womöglich leichter als Kasperletheater erzählen, weil Richtig und Falsch dabei noch so schön unterscheidbar sind.

Menschen, die in rasanten Filmen schon mal den Überblick verlieren, präsentiert „Curveball – Wir machen die Wahrheit“ von Johannes Naber in aller Ruhe und Einfachheit ein groteskes Panorama geheimdienstlicher Vorgänge und hält sich dabei trotz aller Lust am Spiel doch an die bis heute verfügbaren Fakten.

Die Ereignisse fanden um die Jahrtausendwende zwischen Zirndorf, Pullach und den USA statt, was bereits eine tragikomische Reibung zwischen Provinzlertum und Weltgeltungsanspruch erzeugt. Der im fränkischen Zirndorf untergebrachte Asylbewerber Rafid Alwan wendet sich an den Bundesnachrichtendienst (BND) und behauptet, im Irak an der Herstellung von Anthrax beteiligt gewesen zu sein. Der Biowaffenexperte Arndt Wolf ist zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Irak zurück; weder er noch andere UN-Kontrolleure sind bei ihren Recherchen vor Ort fündig geworden.

Doch nach dem 11. September 2001 glaubt der BND in dem vermeintlichen Informanten das lange ersehnte As im Wetteifer mit der CIA in der Hand zu halten. Wolfs Vorgesetzter Schatz will, dass er die „Quelle“ befrage. Rafid erhält den Decknamen „Curveball“, weil man hofft, dass er wie jener titelgebende Bogenwurf im Baseball das Spiel verändern kann.

In knappen, scharfen Dialogen, mit angenehm zurückgenommenen, sturztrockenen Ausflügen in den Slapstick und umgeben von miefig-piefigem Büromobiliar in dunklem Grau-Braun nehmen die Psychopathologien der Beteiligten immer mehr Gestalt an.

Das beginnt schon beim halb naiven, halb großspurigen Rafid, der sich über eine schäbige Wohnung übermäßig freut. Gegen eine gewissen Vorzugsbehandlung – eigene Wohnung, deutscher Pass – liefert er seinem „Freund“ Wolf das Gewünschte, eine krakelige Zeichnung von angeblichen Beweisen für die Herstellung von Vernichtungswaffen durch Saddam Hussein. Wolf wird als leiser, aber unerbittlicher und im Grunde herzensguter Menschen ohne Privatleben gezeichnet. Völlig abgebrüht ist Wolf bis zum Schluss nicht; immerhin drängt er gegenüber seinem plärrigen Chef Schatz auf eine Überprüfung von Rafids Behauptung, doch Schatz ist mit seinen gierig flackernden Augen bereits vollständig für den die eigene Herrlichkeit beweisenden „Knaller“ entflammt.

Wie die Weltöffentlichkeit heute längst weiß, gelangte Alwans Zeichnung nicht existenter Biowaffen-LKWs in die Hände des damaligen US-Außenministers Colin Powell und lieferte im Jahr 2003 die Rechtfertigung für einen Krieg, der Hunderttausende das Leben kostete und dessen Folgen bis heute zu spüren sind. Johannes Naber erzählt diese Geschichte als Farce, ohne sich über den Ernst und den Schrecken lustig zu machen, den die Geschichte um „Curveball“ nach sich zog.

Die Inszenierung könnte deutlich mehr aufdrehen und den schwarzen Humor und die Groteske auf die Spitze treiben, doch sie vertraut auf die Absurdität des Faktischen. Nabers „Curveball“ schlägt einen melancholisch verzweifelten, müde lächelnden Grundton an. Auch auf der Tonebene: Nabers eigene Kompositionen von vereinzelt eintrudelnden, schmerzhaft angerauten Streicherklängen und hohl tönenden Bläsern durchschneiden das tragikomische Geschehen mehr, als dass sie es untermalen.

Wenn im BND-Büro ein Verhörvideo gezeigt wird, öffnet sich rumpelnd eine Schrankwand, aus der quietschend ein Röhrenfernseher erscheint. Alt und lächerlich weit weg wirkt die Jahrtausendwende hier, als liege sie bereits ein halbes Jahrhundert zurück. Doch bevor man sich allzu behaglich zurücklehnen und von dieser versunkenen Epoche distanzieren könnte, informiert im Abspann ein Insert lakonisch: „Der damalige Chef des Kanzleramts ist heute Bundespräsident“.