Clint Eastwoods „Der Fall Richard Jewell“ als TV-Premiere

Drama um den US-Wachmann Richard Jewell, der bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta ein Bombenattentat aufdeckt und von den Medien zunächst als Held gefeiert, später aber als vermeintlicher Täter stigmatisiert wird.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta alarmiert der als Wachmann tätige Richard Jewell (Paul Walter Hauser) die Polizei, dass in einem Park ein verdächtiger Rucksack liege. Die darin befindliche Nagelbombe explodiert zwar trotzdem, doch Jewells Entdeckung rettet vielen Menschen das Leben; schnell wird er als Held gefeiert.

Auf der Suche nach den Tätern überprüft das FBI allerdings auch den bei seiner Mutter (Kathy Bates) lebenden, als übereifrig und instabil geltenden und Waffen sammelnden Mann als möglichen Bombenleger, was von den Medien gierig aufgegriffen und bedenkenlos ausgeschlachtet wird. Bald steht der Helfer im Kreuzfeuer und wendet sich an den Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell), den er von einem seiner früheren Jobs kennt.

Das nach authentischen Fakten inszenierte Drama von Clint Eastwood von 2019 lässt sich als dezidierte Gesellschafts- wie auch Medienkritik lesen, die mit der kompromittierenden Unprofessionalität harsch ins Gericht geht, durch die ein Unschuldiger an den Pranger gestellt wird, nur weil er in ein Täterprofil passt. Zugleich ist der sorgfältig aufgebaute Film ein spannendes Lehrstück über Vorverdächtigungen und auf Klischees beruhenden Unterstellungen.

Immer wieder: der „frustrierte weiße Mann“! Es liegt nahe zu fragen, welche Motivation und welches Erzählinteresse das Team um Drehbuchautor Billy Ray und Regisseur Clint Eastwood verfolgt hat, als es einen Artikel von Marie Brenner aus der Zeitschrift „Vanity Fair“ aufgriff, der die dramatischen Ereignisse rund um eine terroristische Bombenattacke während der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta schildert. Diese werden im Film komplett aus der Perspektive des verdächtigen Wachmanns Richard Jewell und seines nonkonformistischen Anwalts Watson Bryant erzählt.

Auf den ersten Blick erscheinen die Ereignisse ausschließlich historisch relevant zu sein, bis der Film eine Traditionslinie spezifisch US-amerikanischer Hasskriminalität aufzeigt, in der „frustrierte weiße Männer“ als prototypische Täter gelten und bei deren Aufklärung die Ermittlungsbehörden und die Medien nicht selten eine unheilige Allianz eingehen.

Zu Beginn ist Richard Jewell nichts weiter als der Botenjunge in einem Großraumbüro. Hier lernt er eher zufällig den fahrigen Juristen Watson kennen, der ihn als Einziger wie ein menschliches Wesen behandelt. Schon hier offenbart Jewell eine prekäre Mischung aus sympathischer Aufmerksamkeit für den Nächsten und übertriebener Neugier und Überwachungsparanoia, die ihm später zum Verhängnis wird.

Zunächst aber trennen sich die Wege der beiden Ungleichen: Bryant macht sich selbstständig, hat aber aufgrund seiner allzu entspannten Art nur wenig Erfolg; Jewell arbeitet sich hingegen langsam, aber stetig nach oben, hin zu seiner eigentlichen Berufung, dem Sicherheitsdienst im weitesten Sinne.

Anfangs scheitert er als Campus-Ordnungshüter, weil er unbedeutendes studentisches Missverhalten nicht von gravierenden Übertretungen unterscheiden kann. Doch das Glück scheint Richard Jewell hold: Die Vorbereitungen zu den Olympischen Sommerspielen 1996 laufen an, und er ergattert einen Security-Job im olympischen Dorf, trägt wieder Uniform und nervt die Polizeibeamten mit seinem Übereifer. Bis er bei einem seiner Rundgänge einen ihm verdächtigen Rucksack unter einer Bank entdeckt.

Die Hölle tut sich auf: zunächst für alle Umstehenden, von denen über Hundert durch die explodierende Nagelbombe verletzt und zwei getötet werden, dann für die US-amerikanische Gesellschaft und alsbald auch für Richard Jewell.

Ihm sind schon die 24 Stunden des Ruhms als Retter nicht geheuer, in denen er als Mann des Tages von Zeitungen und Fernsehen zum nationalen Helden proklamiert wird. Vollends versteht er nicht, mit welcher fatalen Wankelmütigkeit die Medienmaschinerie operiert, als er – verdächtig geworden – selbst ins Kreuzfeuer ganz unterschiedlicher Mächte gerät. Jewell wäre verloren, wenn er sich nicht seines alten Bekannten Watson Bryant entsinnen würde; dieser übernimmt seine juristische Beratung, erwacht aus seiner Lethargie und verteidigt Jewell nach allen Regeln seiner Kunst und gemäß uramerikanischer Rechtsprinzipien.

„Der Fall Richard Jewell“ gewinnt seine Prägnanz durch seinen Ort in der Zeit. Vieles ist virulent und noch zu keinem befriedigenden Abschluss gelangt. Anderes wirkt als Reaktion darauf hektisch und unausgereift: kriminalistisches Profiling, Computer-Journalismus, die Strategien der Ermittlungsbehörden, die unter Erfolgsdruck stehen.

Von heutigen Standards und Methoden aus erscheint es geradezu unfassbar, wie dilettantisch hier vorgegangen wird. So liefert FBI-Agent Tom Shaw ein überzeugendes Porträt eines schwachen Charakters, der unter Stress und von allen Seiten genötigt zu übereilten Schlüssen gelangt.

Ein Clou des Films besteht darin, dass er auf zwei Ebenen gelesen werden kann. Wer sich an den historischen Fall und die Rolle von Richard Jewell erinnert, kann sich auf die teilweise sehr dezidierte Gesellschafts- und Medienkritik von Regisseur Clint Eastwood einlassen, der die Journaille durch den Mund von Watson Bryant als „Parasiten“ beschimpft. Den anderen lässt das Werk die Spannung der Entscheidung über Jewells Schuld oder Unschuld spüren, denn erst ganz zum Schluss enthüllt sich, ob Jewell auch Täter war. Ein Opfer ist er in jedem Falle.