Christ – Monarchist – Reformer

Friedrich von Bodelschwingh war die prägende Persönlichkeit für das diakonische Unternehmen

Bethel

Als die Fernsehzuschauer im Jahr 2003 die 100 besten Deutschen wählten, kam Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) auf den 73. Platz. Bodelschwingh war die prägende Persönlichkeit für das diakonische Unternehmen Bethel. Er steht für diakonisches Engagement wie für höchst effizientes Unternehmertum im Dienst für Arme, Kranke und Schwache. „Neue große Nöte bedürfen neuer, mutiger Gedanken“, war das Lebensmotto des evangelischen Theologen.
Unter seiner Leitung wuchsen die nach ihm benannten v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld zu einem der größten diakonischen Unternehmen Europas. Das am 2. April 1867 als „Rheinisch-Westfälische Anstalt für Epileptische“ gegründete Werk feiert in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag.
Der 1831 in Tecklenburg geborene Theologe sei ein Wegbereiter einer „Moderne mit menschlichem Antlitz“ gewesen, schreibt der Historiker Hans-Walter Schmuhl in seiner Bodelschwingh-Biographie. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss nannte Bodelschwingh wegen seines geschickten „Fundraisings“ anerkennend „den genialsten Bettler“, den Deutschland je gesehen habe.
Bodelschwingh war nicht der Gründer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Doch ohne seine Ideen, sein Engagement und seine starke Frömmigkeit wäre Bethel nicht zu dem geworden, was es bis heute ist. In den 38 Jahren seiner Leitung baute Bodelschwingh die kleine Pflegeeinrichtung für Epilepsiekranke zu einer Ortschaft nahe der Bielefelder Altstadt aus und erschloss obendrein immer neue Arbeitsfelder.
„Sein Einsatz für epilepsiekranke Menschen, für Wanderarbeiter, für behinderte oder benachteiligte Menschen ist bis heute beispielhaft und zugleich prägend für Bethel“, sagt der heutige, inzwischen neunte, Bethel-Chef Ulrich Pohl. Bodelschwingh habe im 19. Jahrhundert den Blick der Gesellschaft auf die Menschen an ihrem Rand, auf Menschen in Not gelenkt.
In Bethel erhielten schon bald nicht nur epilepsiekranke Menschen Hilfe, sondern auch die Opfer von sozialer Not in Zeiten der Industrialisierung. Als Bodelschwingh im Jahr 1872 an die Spitze der Einrichtung berufen wurde, wurden dort 150 epilepsiekranke Menschen betreut. Als er 1910 starb und sein Sohn Fritz die Leitung übernahm, zählte man rund 2000 „Pfleglinge“.
Nach seinem Theologiestudium war Bodelschwingh für die „Evangelische Mission unter den Deutschen in Paris“ als „Gassenkehrerpastor“ in den Armenvierteln tätig gewesen. Der kurz aufeinanderfolgende Tod vier seiner Kinder im Jahr 1869 wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis. Da habe er bemerkt, „wie hart Gott gegen Menschen sein kann, und darüber bin ich barmherzig geworden gegen andere“, notierte Bodelschwingh, der von der Frömmigkeit der christlichen Erweckungsbewegung stark geprägt war.
Von seiner Herkunft her war Bodelschwingh alles andere als ein Sozialrevolutionär. Der Sohn eines preußischen Ministers und Jugendfreund von Kaiser Friedrich III. war ein christlicher Monarchist, der sein Leben lang ein großer Bewunderer des Hauses Hohenzollern blieb.
In Bethel wirbt man heute denn auch für eine differenzierte Betrachtung des Namensgebers. Bereits zu Lebzeiten sei Bodelschwingh zu einer „Heiligengestalt“ verklärt worden, schreibt der Historiker Schmuhl in der von Bethel geförderten Biographie. Zu den Ecken und Kanten seines Charakters gehörten aber auch „die geistige Enge seines Glaubens, ein Sendungsbewusstsein, das es ihm schwer machte, andere Meinungen gelten zu lassen“, sowie „sein mild patriarchalischer, dennoch autoritärer Führungsstil“.