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Chatbots könnten “verlängerter Arm” der Psychotherapie werden

Können Maschinen die Seele heilen? Mit dieser Frage befasst sich weltweite Forschung. In einer Studie zu Paartherapie konnte eine Künstliche Intelligenz nun durchaus überzeugen. Doch nicht nur Erkrankte haben Bedenken.

Wartezeiten auf einen Therapieplatz überbrücken, Verwaltungsaufgaben übernehmen und Informationen anbieten – für solche Zwecke können sich Fachleute künftig den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Psychotherapie vorstellen. Der Freiburger Psychologe Markus Langer bezeichnete KI gegenüber dem Science Media Center als möglichen “verlängerten Arm” von Therapeutinnen und Therapeuten. Anlass ist eine Studie, die im Journal “PLOS Mental Health” erschienen ist.

Die Forschungsgruppe von mehreren US-Universitäten sowie aus dem schweizerischen Lausanne ließ den Angaben zufolge 13 Therapeutinnen und Therapeuten sowie ChatGPT Antworten für Gespräche aus fiktiven Paartherapie-Situationen formulieren. Diese wurden im Anschluss von 830 Personen bewertet – von denen die meisten kaum hätten feststellen können, ob eine Aussage von einer realen Person stammte oder von dem Chatbot. Auch wurden die Antworten von ChatGPT als ausführlicher und emotional differenzierter bewertet.

Dass die Versuchspersonen kaum Unterschiede feststellen konnten, sei wenig überraschend, sagte die Professorin für Klinische Psychologie an der Uni Erlangen-Nürnberg, Johanna Löchner – angesichts der hohen Qualität heutiger Sprachmodelle. Schon vorherige Studien hätten gezeigt, dass Chatbots ein vielversprechendes Potenzial für eine Verbesserung der mentalen Gesundheit hätten, insbesondere bei depressiven Störungen.

Zugleich gebe es Hürden: Löchner nannte Anwendungsfreundlichkeit, Vorbehalte bei manchen Nutzenden sowie ethische Bedenken. Auch sei eine Psychotherapie “verbunden mit Konfrontation von vermeidendem Verhalten und Unterstützung von Klient:innen dabei, beispielsweise durch Expositionen Ängste zu überwinden.” Dieser Prozess sei anstrengend; viele Betroffene erlebten ihn zunächst keineswegs als wohltuend – doch langfristig könnten sich ihre Probleme dadurch bessern. Es sei fraglich, ob Chatbots dies – neben der Rolle eines empathischen, motivierenden Gesprächspartners – leisten könnten.

Wissenschaftlich geprüfte digitale Angebote zur psychischen Gesundheit arbeiten bislang ohne KI. Die sogenannten digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) können verschrieben und von den Krankenkassen übernommen werden – doch schon zum Start vor fünf Jahren wies die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung darauf hin, dass sie kein Ersatz für Psychotherapie seien. Zudem ist laut Löchner der Zertifizierungsprozess “aufwendig und kostspielig, weshalb viele unabhängige Anbieter ihre Produkte als ‘Wellness’-Angebote vertreiben und so für ein unübersichtliches Feld sorgen”.

Dass der Markt an Gesundheitsapps und ähnlichen Angeboten für Nutzerinnen und Nutzer kaum zu überblicken sei, zeigte schon im vergangenen Jahr eine Studie des Freiburger Psychologen Lasse B. Sander. “Die Sterne-Ratings orientieren sich eher an Design und leichter Nutzbarkeit, nicht an Evidenz und Qualität”, sagte er dazu der Zeitschrift “Psychologie Heute”.

Zugleich sehe er viele Möglichkeiten für weitere Verbesserungen, so Sander. Dies betreffe vor allem drei Bereiche: “bei der Prävention psychischer Erkrankungen, um Behandlungsmaßnahmen effektiver zu gestalten und um Zielgruppen zu erreichen, denen wir aktuell nicht begegnen”.

Wenn Patienten beispielsweise nur einzelne Symptome für eine depressive Erkrankung aufwiesen und Hilfe suchten, wäre es sinnvoll, ihnen ein entsprechendes Online-Programm verschreiben zu können. Dies ist derzeit nur bei Vorliegen einer Diagnose möglich. Sander: “Es gibt ja auch digitale Rückenschulen, die Sie machen können, ohne dass Sie schon unter starken Rückenschmerzen leiden.” Allerdings wüssten die Behandelnden im psychiatrisch-psychologischen Bereich häufig zu wenig über die digitalen Anwendungen.

Zudem könnten digitale Angebote zum Einsatz kommen, wenn Menschen einer Psychotherapie eher ablehnend gegenüberstünden. Manche kämen so “das allererste Mal überhaupt mit psychologischer Hilfe in Berührung”. Darin sieht Sander auch angesichts der aktuellen Studie durchaus Chancen. Ein Chatbot sei “sehr ressourcensparend, 24/7 verfügbar und man kann sich verhältnismäßig anonym an ihn wenden, was für Personen mit einem hohen Stigma-Erleben von Vorteil ist. Viele Menschen mit psychischen Belastungen suchen selbst dann keine psychotherapeutische Praxis auf, wenn diese kostenlos verfügbar ist.”

Allerdings sei die jüngst untersuchte Paartherapie “weit davon entfernt, Psychotherapie zu sein”, mahnte Sander. Es sei eine gesellschaftliche Frage, welche Unterstützung man sich im Falle einer psychischen Erkrankung wünscht. Vom Ersetzen eines psychotherapeutischen Prozesses durch KI sei man derzeit “sehr weit entfernt”; die Anwendungen könnten jedoch ein Baustein sein, um die Krankheitslast angesichts einer überforderten Versorgungslandschaft zu senken.