Bunte Geschichten rund um Hamburgs Kirchen
Hamburg. Auf 168 Seiten hat Kurt Grobecker „Hamburger Kirchengeschichten“ aufgeschrieben. Sie sind amüsant, lehrreich – und gelegentlich geht es sogar erotisch zu. Der Autor zeichnet dabei ein spezielles Gottesbild der Hamburger.
Er habe sich stets darüber geärgert, dass Geschichte oftmals „furchtbar sperrig“ vermittelt wird. Und das, obwohl man seiner Meinung nach die Gegenwart nicht verstehe, wenn man die Geschichte nicht kennt und versteht. Und so fing Kurt Grobecker an, seinen eigenen, lockeren Stil für seine Erzählungen zu entwickeln. „Ich habe immer gesagt, wir müssen Geschichte in Geschichten vermitteln. Im Grunde ist das keine neue Erkenntnis; darauf basiert die Bibel auch schon“, sagt er.
Im vergangenen Jahr erschienen dann nach diesem Prinzip die „Kirchengeschichten – Unglaublich-Glaubwürdiges von gottesfürchtigen und unfrommen Hanseaten“. Darin erzählt der 79-Jährige beispielsweise von den erotischen Eskapaden der Geistlichkeit in Hamburg. Denn in Hamburg war es Anfang des 16. Jahrhunderts nicht unüblich, dass sich die Geistlichen Konkubinen hielten, was natürlich im Volk und auch bei der Kirchenleitung in Rom nicht gern gesehen wurde.
Manchmal lernt der Leser etwas dazu
Um diesen Missstand zu beseitigen, sandten die Kirchenoberen den Kardinal Raimund, um sich dieses delikaten Problems anzunehmen. Grobecker beschreibt den Besuch des Kardinals so: „Als sich der Kardinal an seinen ‚Visitationssubjekten‘ hinreichend sattgesehen hatte, holte er tief Luft und ließ seiner Empörung freien Lauf.“ An der Situation etwas geändert hat diese Visitation allerdings nicht – jedenfalls zunächst. Denn mit der Reformation brauchte das Bodenpersonal des „lieben Gottes“ keine Konkubinen mehr, weil nun die Ehe erlaubt war.
Neben Berichten wie diesen mit gewissem Amüsement finden sich auch Erzählungen, bei denen man noch etwas dazulernt. Spannend ist zum Beispiel, was Grobecker über die Hamburger „Via Dolorosa“ („der schmerzhafte Weg“) zu berichten weiß. Die „Via Dolorosa“ ist eigentlich eine Straße in Jerusalem, die über verschiedene Stationen den Leidensweg Jesu vom Haus des Pilatus zum Heiligen Grab in der Grabeskirche beschreibt. Kreuzfahrer, die aus Jerusalem nach Hamburg zurückkehrten, hatten die Länge des Weges und die Orte der einzelnen Stationen ausgemessen, um dann auch in Hamburg einen solchen Pilgerweg anzulegen, der am Alten Mariendom, der südlich der Petrikirche stand, begann. Ziel ist die heutige Kirchenallee. Die wenigsten Hamburger werden wissen, dass sie hin und wieder auf alten, vergessenen Pilgerpfaden wandeln.
Keine Scheu, Gott auf die Schippe zu nehmen
Grobecker leitete bis zu seiner Pensionierung beim NDR das Ressort „Hafen- und hamburgische Geschichte“ und schrieb historische Feuilletons. Außerdem war er verantwortlich für das wöchentliche „Hamburger Hafenkonzert“, die älteste bestehende Live-Hörfunksendung der Welt. Zudem hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht, zum Beispiel Bände über „Alstergeschichten“ oder „Rathausgeschichten“. Nun sei es an der Zeit gewesen, sich der Geschichten der Kirche in Hamburg anzunehmen, erzählt Grobecker.
Seine persönliche Note bezeichnet Grobecker selbst als „liebevoll bösartig, sodass nicht einmal der liebe Gott darüber böse sein kann.“ Das passt zu dem, was er als Merkmal der Beziehung des typischen Hanseaten zu Gott und seinem Bodenpersonal beschreibt: Das Gottesbild der Hamburger wäre das des persönlichen Freundes und Ratgebers, weniger das einer höheren Instanz, der man sich unterzuordnen habe. Die Erfahrung hätte die Hamburger gelehrt, dass sich die Geistlichkeit nicht wirklich so verhalte, wie sie es predigte. Und so hätte sich der Hamburger auch nicht gescheut, Gott und die Geistlichkeit „gehörig auf die Schippe zu nehmen.“
Auch wenn es nicht sein primäres Anliegen gewesen ist, denkt Grobecker doch, dass er mit dem Buch auch wieder Menschen an den „lieben Gott“ heranführen kann. Durch die recht lockere Art würden die Menschen dazu gebracht werden, sich wieder mit Gott und der Kirche auseinanderzusetzen.
"Manchmal blinzle ich dem lieben Gott zu"
Grobecker sagt, er selbst habe keine enge Beziehung zu der Kirche als Institution. Er sei weder getauft noch konfirmiert, was auch an der Einstellung seines Vaters läge, der als Handwerksmeister eher politisch links stand und daher auch eher kirchenkritisch war. Grobecker sehe zwar, dass die Kirche für die Gesellschaft notwendig sei. Ob sie aber für ihn notwendig ist, sei „eine andere Frage“. Allerdings habe er ein typisch hanseatisches Verhältnis zum „lieben Gott“. Er beschreibt es als sehr persönlich und eng und meint: „Ich blinzle ihm manchmal zu und sage: ‚ein bisschen Spaß musst du abkönnen, sonst bist du nicht mein Gott!‘“
Info
Kurt Grobecker: Kirchengeschichten
Verlag: Edition Temmen
168 Seiten,
9,90 Euro.