Bücher ohne Risiken, aber mit Nebenwirkung

Es reicht nur ein Satz, und Ester Molini führt das junge Paar direkt zu dem Regal links neben der Kasse im hinteren Bereich des Ladens. „Wir suchen ein Geschenk für eine Freundin, sie ist schwanger, vielleicht etwas über die Erwartungen ans Muttersein“, erklären sie. Kurze Zeit später sitzen sie mit vier Büchern auf dem braunen Ledersofa und stöbern durch die Empfehlungen.

Ester Molini nimmt ihre Kunden an die Hand, sie hört ihnen zu, und scheint nach nur wenigen Minuten deren Bedürfnisse genau zu verstehen. Vor fünf Jahren haben die studierte Psychologin und ihre Schwester Elena ihre Buchhandlung „Piccola Farmacia Letteraria“, „Kleine Literarische Apotheke“, in einem Wohnviertel im Südosten von Florenz eröffnet. Fernab des Touristentrubels und in Zeiten des Internethandels, der auch in Italien massenhaft kleine Buchläden zur Schließung zwingt. Ein gewagtes Unternehmen – das Erfolg hat.

Obwohl der kleine Laden gerade einmal etwas mehr als 30 Quadratmeter umfängt, kann man sich darin stundenlang verlieren. Am Eingang findet man unterschiedliche Psychotests – füllt man sie aus, sagen sie einem, zu welchem Regal man gehen sollte, um das Richtige zu finden. Und schon vergräbt man sich im Studieren der Bücherrücken.

Die stehen hier nicht nach Autoren geordnet. Sie sind nach Gemütszuständen und Lebenssituationen sortiert: Angst, Arbeitslosigkeit, unmöglich erscheinende Vorhaben – zu diesen Leiden findet sich rechts vom Eingang ein Regal voll literarischer Medizin. Links wird stattdessen „Reisesucht“ bekämpft, und weiter hinten finden sich die Kategorien „Identitätskrise“, „Midlife-Crisis“ oder auch „Nihilismus für Rücksichtlose“.

Die Bücher, die man in der literarischen Apotheke kaufen kann, haben einen Beipackzettel, den Psychologin Molini entwickelt. Auf dem laminierten Stück Papier steht, für wen das Buch geeignet ist, welche Risiken und Nebenwirkungen beim Lesen zu erwarten sind und wie das Buch dargereicht werden sollte. „Für denjenigen, der aktuell in einem Moment der Orientierungslosigkeit lebt und der auf der Suche nach mehr Klarheit im Leben ist“, steht als Anwendungshinweis auf einer Ausgabe von Hermann Hesses „Siddhartha“. Nebenwirkung: Die Erkenntnis, dass Lebenswege, die nicht nur dem Schein dienen, nicht einfach zu finden sind.

Die Molini-Schwestern stammen aus La Spezia an der ligurischen Küste. Für das Studium des Verlagswesens ist Elena Molini, mit 41 Jahren die jüngere der beiden, nach Florenz gekommen. Nach ihrem Abschluss hat sie in der Filiale einer großen Buchladenkette gearbeitet. „Ich war aber nicht glücklich“, erzählt sie. „Ich habe immer erlebt, dass die Leute einen fragen, was sie lesen sollen. Aber für so einen Rat muss man sich Zeit nehmen können.“ Selbstverständlich habe sie große Angst gehabt, ihren festen Job aufzugeben und sich in einer vom Aussterben bedrohten Branche selbstständig zu machen. Aber sie hat einfach darauf vertraut, ihren Platz zu finden: „Es gibt so viele Nuancen in der Welt der Bücher.“

„Bücher zu verkaufen ist einfach etwas anderes, als Schuhe zu verkaufen“, sagt Elena Molini, die mittlerweile selbst einen Roman geschrieben hat. Protagonistin ist, wenig überraschend, eine Buchhändlerin in Florenz. Sicher, es gehe auch in einem Buchladen am Ende darum, Geld zu verdienen und davon leben zu können, sagt sie. „Bei Schuhen wissen wir aber selbst schnell, ob uns etwas gefällt oder nicht. In einer Buchhandlung ist es anders: Wir sehen diese vielen Buchdeckel, aber woher sollen wir wissen, ob sich dahinter nun leichte Kost oder etwas zum Nachdenken versteckt, ob die Erzählung langsam vorangeht oder schnell. Und das Wichtigste: Ob das Buch mir in meinem Leben gerade einen Beitrag leisten kann.“

Mit der Corona-Pandemie habe sich der Fokus der Kunden verändert, erzählt die Psychologin Ester Molini. „Die Leute hatten viel Zeit nachzudenken, haben ihr Leben reflektiert – viele Anfragen beziehen sich jetzt auf Änderungen im Lebensweg, auf neue Perspektiven“, erzählt die 44-Jährige. Während sie an der Kasse steht, packt sie Bücher in ein Paket und klebt einen Versandzettel darauf. „Auch für uns hat Corona einiges verändert“, sagt sie. In Zeiten des Lockdowns haben die Schwestern ihren Online-Shop aufgezogen und versenden seitdem auch Bücher an Kunden, die nicht nach Florenz kommen können. Jeden Tag schnüre sie in normalen Zeiten 10 bis 20 Pakete.

Derweil ist das Geschenk für die schwangere Freundin ausgewählt: Zwei Titel wandern über die Theke. Und wie jedes Buch, das in der literarischen Apotheke verkauft wird, bekommen auch diese zwei einen Zettel mit einem Warnhinweis angeheftet: „Achtung, enthält Glückseligkeit.“