Buchtipp: “Gebranntes Kind” liefert kein Happy-End
Ein Buchtipp ohne Happy-End: Der Schwede Stig Dagermann entwirft ein Bild eines jungen Mannes, der an seiner Selbstgerechtigkeit fast zerbricht und seinem verhassten Vater immer ähnlicher wird.
Der 1948 erstmals erschienene Roman beginnt in einem Stockholmer Arbeiterviertel mit den Vorbereitungen einer Beerdigung: Bengts Mutter ist gestorben. Zwei Schwestern des Vaters sind gekommen, eine schöne und eine hässliche, um dem Witwer und dem zwanzigjährigen Sohn beizustehen. Der Sohn hat geweint, der Vater nicht. Der Sohn hat die Mutter geliebt, „weil sie ihn geliebt hat“.
Noch am Beerdigungstag ruft eine Frau an, wie sich bald herausstellt, eine Geliebte des Vaters. Der Sohn ist empört, als ihm der Vater mitteilt, sie werde seine Mutter werden. Er hasst den Vater wegen des Betrugs an der Mutter. Und er ist sich gewiss, niemals einen Menschen, den er liebt, zu betrügen. Unehrlichkeit scheint ihm eines der größten Vergehen zu sein. Schon in den ersten Kapiteln wird deutlich, wie sich die Gegensätze durchdringen: schön und hässlich, Liebe und Hass, Ehrlichkeit und Betrug. Und im Verlauf der Handlung erlebt Bengt, dass sich Prinzipien nicht immer durchhalten lassen, dass auch er zum Betrüger an seiner Freundin wird, dass er den Vater hintergeht, wenn er ein Liebesverhältnis mit dessen zweiter Frau beginnt.
Nach einem halbherzigen Selbstmordversuch kommt Bengt zur Ruhe
Am Ende, nach einem halbherzigen Selbstmordversuch, kommt Bengt zur Ruhe. Nachdem er ganz unten war, kommt Hoffnung auf. Nur als gebranntes Kind kann er andere erwärmen. Das ist ein hoher Preis. Unterbrochen wird das Erzählen durch Briefe, die Bengt an sich selbst und, später, an den Vater schreibt. Diese Briefe unterscheiden sich vom Erzählstil: Wird die Handlung in einem einfachen Stil vorgetragen, sind die Briefe Texte eines Philosophiestudenten: längere Sätze, teilweise sehr reflektierte Gedankengänge.
Am Anfang steht die Erschütterung Bengts über den Tod der Mutter und über das Verhalten des Vaters. Im Verlauf des Jahres, das die Handlung umfasst, werden Bengts Absolutheitsansprüche relativiert, wird er dem Vater immer ähnlicher. Ein wahrhaftiges, desillusionierendes, bis zum Ende spannendes Buch, das uns Lesern keine Schlupflöcher für Selbstgerechtigkeit lässt.
Stig Dagerman: Gebranntes Kind, Guggolz Verlag, Berlin 2024, 299 Seiten, 25 Euro.