„Buchbinden ist wie Rosenkranz beten“

Seit Jahrhunderten gibt es in Klöstern die Tradition, Bücher und besondere Schriften zu binden, zunächst vor allem klostereigene Schriften – so auch im Zisterzienser-Kloster in Bochum-Stiepel.

Erst einmal sieht sich Pater Matthias das zu bearbeitende Buch ganz genau an.
Erst einmal sieht sich Pater Matthias das zu bearbeitende Buch ganz genau an.Frauke Haardt-Radzik

Sein erster Blick gilt dem Zustand der geleimten Seiten. Pater Matthias Schäferhoff schaut sich ganz genau an, wie das Buch, das er soeben zur Reparatur erhalten hat, gebunden wurde und ob womöglich Seiten eingerissen sind. Auch den Buchrücken inspiziert er eingehend. Heute ist es ein altes Familien-Kochbuch, ganz in Sütterlinschrift gehalten, dem der Original-Einband fehlt. Auch solche Aufträge erhält das ZisterzienserKloster immer häufiger.

„Wir sind in Deutschland wohl die einzige Klosterbuchbinderei, die das auch öffentlich anbietet“, sagt Pater Matthias nicht ohne Stolz. „Gerade im zurückliegenden Pandemie-Lockdown hatten viele Menschen Zeit und fanden beim Aufräumen zuhause so manch ein Buch, dass sie nun zur Reparatur oder zum Neueinbinden zu uns bringen.“

Die Klosterbuchbinderei Stiepel ist mit ihren Leistungen der Drucker- und Buchbinderarbeiten als gewerblicher Fachbetrieb der Buchbinder-Innung im Handwerkskammerbezirk Dortmund eingetragen.

Buchbinderei im Keller des Klosters

Mit 19 Jahren ist der gelernte Installateur und Heizungsbauer Matthias Schäferhoff in den Zisterzienser-Orden eingetreten. Nach seinem Noviziat im österreichischen Kloster Heiligenkreuz beschloss er, eine weitere Ausbildung, nämlich die zum Buchbinder, zu machen.

Als fertiger Geselle hat er zunächst in Österreich die Klosterwerkstatt geführt, 2019 erhielt er die Möglichkeit, nach Bochum zurückzukehren, mit der Auflage, nun auch im Kloster Stiepel eine Buchbinderei aufzubauen. Diesen Auftrag nahm Pater Matthias gern an und führt seit nunmehr vier Jahren die Buchbinderwerkstatt im Keller des Klosters.

Drei Tätigkeitsbereiche sind dabei die Säulen seiner Arbeit: Das Binden verschiedener Erzeugnisse, das Erhalten und Bewahren von Kulturgut durch Reparatur und Restaurieren und die kunsthandwerkliche Fertigung von Bucheinbänden.

Alles jahrhundertealte Technik

Und alles in reiner Handarbeit. Automatisierte oder gar Fließbandarbeit gibt es hier nicht. Die Buchpressen, Stanzgeräte, Prägepressen, das alles ist jahrhundertealte Technik. Das Nähen mit dicker Nadel und ebensolchem Faden, wenn ein Buch ganz neu gebunden werden soll, ist für ihn wie Meditation, sagt Pater Matthias: „Das ist beinah so wie Rosenkranz beten.“ Und Buchbinden wiederum ist für den 33-Jährigen die urklösterliche Arbeit schlechthin. „Sie kommt dem Gebet sehr nahe“, bekräftigt er.

Ora et labora, bete und arbeite, und lebe nach den Regeln des heiligen Benedikt, dies gilt auch in dieser Glaubensgemeinschaft als wichtigste Maxime. Dabei steht das gemeinsame Gebet der Mönche, viermal am Tag, an oberster Stelle. Nichts sollte wichtiger sein, als sich nach festem Stundengebot zum Gebet zusammen mit den anderen Klosterbrüdern in die Kapelle zu begeben.

Zwischen Gebet und Arbeit

„Nur in dringenden Ausnahmen, wenn ein Arbeitsablauf hier wirklich mal nicht unterbrochen werden kann, darf ich von dieser festen Regel mal abweichen“, unterstreicht auch Pater Matthias, dass das Gebet für ihn allerhöchste Priorität besitzt.

Ora et labora, also der Wechsel von Gebet und Arbeit, ist dabei für ihn bereichernd. So verlangt die Buchbinderei auch eine große Portion Kreativität und kunsthandwerkliches Talent. „Ich habe hier auch viel gestalterische Freiheit“, freut sich Pater Matthias immer wieder über diese Arbeit. Und nach dem nächsten Gebet geht es dann auch rasch wieder zurück an die Arbeit.

 

Das alte Kochbuch aus dem Jahre 1897 ist fertig geleimt, jetzt wird es mit einem sogenannten Vorsatzpapier versehen. Das sind die ersten und letzten Innenseiten des Buches, die Verbindung zwischen Buchblock und neuem Buchdeckel. Verleimt mit diesem Vorsatzpapier wird das Buch über Nacht in einer Buchpresse festgeschraubt.

Goldfolie zwischen Buch und Buchstaben­­

Am nächsten Tag werden dann geeignete Umschlagmaterialien ausgesucht. Lieber brauner Stoff oder doch feste beige Pappe? Und wie soll der Einband bedruckt werden? Buchstaben aus dem Setzkasten werden passend zusammengesucht und für die Prägepresse vorbereitet. Letzter Schritt hin zum neuen Einband: hauchdünne Goldfolie wird zwischen Buch und Buchstaben gelegt, dann presst die handbetriebene Stanze den neuen Buchtitel auf den Einband.

Fertig ist ein einmaliges, fast möchte man sagen, Kunstwerk. In schönster Goldprägung ist auf dem neu gestalteten Einband der Buchtitel „Henriette Löfflers großes illustriertes Kochbuch“ zu erkennen.

Ein Beruf mit viel Verantwortung, aber auch mit großer kreativer Freiheit. Nach dem Restaurieren des Kochbuchs warten schon fünf soeben eingetroffene Messbücher aus Süddeutschland auf ihn. Die Aufträge sind sehr zahlreich geworden, freut sich der Pater. Aus ganz Deutschland werden ihm mittlerweile alte Kirchenbücher, mit den Sterbe- und Geburtsdaten, zur Restaurierung geschickt. „Die Buchbinderei ist halt ein sehr seltener Handwerksberuf geworden“, bedauert Pater Matthias. Selbst im kirchlichen Bereich gibt es nur noch wenige solcher Werkstätten.

Oft einmalige Raritäten

Zu den zusätzlichen Aufgaben des Buchbinders im Kloster Stiepel gehört auch die Präsentation der Sammlung Dr. Prill. Außergewöhnliche Raritäten, knapp 3000 Bücher und vor allem ihre prachtvollen Einbände sind da in der Bibliothek des Klosters bei einer der angebotenen Führungen zu bestaunen. Eine Sammlung von größtenteils französischer Literatur vom 15. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, die Einblick in die hervorragende handwerkliche und künstlerische Arbeit der Buchbinderei gewährt.

In der freien Wirtschaft wäre die jahrhundertealte Handarbeit der Buchbinderei wohl kaum noch überlebensfähig. Ein wichtiges und wertvolles Handwerk, das 2021 sogar ins bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde.

Geradezu meditative Ruhe, Konzentration und großes Fingerspitzengefühl sind für Pater Matthias bei seiner Arbeit wichtig. Schließlich sind es oft einmalige Raritäten, die ihm hier anvertraut werden. „Vor allem die alten Taufbücher, die gibt es in einer Pfarrgemeinde ja nur einmal. Wenn man da bei der Restaurierung einen Fehler macht, wäre das unverzeihlich. Bücher, so wie wir sie heute kennen, würde es ohne die jahrhundertelange Tradition der Klosterbuchbinderei wohl gar nicht geben.“