Buchautor Marco Volken über die Anziehungskraft der Alpen

Meer oder Berge – diese Frage stellt sich für viele wieder, wenn die nächsten Ferien nahen. Und auch ins arbeitsreichen Zeiten lässt sich von diesen Sehnsuchtsorten träumen. Die Bilder von Marco Volken laden dazu ein.

Der Schweizer Marco Volken ist ein Spezialist für alpine Fotografie. Seine Leidenschaft für die Berge und seinen besonderen Blick darauf hat er in zahlreichen Büchern und Ausstellungen dokumentiert. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der 58-Jährige über sein jüngstes Buchprojekt “Über die Alpen. Große und kleine Pässe zu Fuß entdecken”. Und dann wäre da noch die Sache mit den Toilettenhäuschen.

KNA: Herr Volken, was können wir in den Alpen finden, was uns im täglichen Leben eher fehlt?

Volken: Was fehlt uns im täglichen Leben? Das ist wohl sehr individuell. Manche suchen in den Alpen die Ruhe und Abgeschiedenheit, die frische Luft, Enziane und Gämsen, andere die schlichte Schönheit einer intakten Berglandschaft. Oder das gemeinsame Erlebnis in einer Gruppe. Oder eine sportliche Herausforderung – manchmal tut es einfach gut, abends körperlich müde ins Bett zu fallen statt geistig geschafft.

KNA: Wie sieht das bei Ihnen persönlich aus?

Volken: Für mich begann es mit den Klettereien, den großen Hochtouren und dem Zusammenhalt innerhalb der Seilschaft. Mit den Jahren hat sich vieles verschoben, und so reizen mich heute vor allem die ästhetische Qualität einer Landschaft und die verschiedenen Lichtstimmungen; da schlägt der leidenschaftliche Fotograf durch. Egal, ob ich mit Wanderschuhen, Kletterfinken, Steigeisen oder Tourenskiern unterwegs bin.

KNA: In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie Wanderungen entlang der großen Alpenpässe – was sollten Wanderer dafür mitbringen?

Volken: Schwierig sind die Wanderungen nicht, es reicht eine durchschnittliche Kondition. Und da die Pässe zumeist mit öffentlichen Buslinien erschlossen sind, kann man sie auch etappenweise überschreiten – einmal vielleicht den Aufstieg, ein andermal den Abstieg. Was aber hilft, ist eine Portion Neugier und die Lust, sich auf Natur und Geschichten einzulassen. Es gibt ungemein viel zu entdecken – viel mehr, als wenn wir auf einen kahlen, stummen Berg steigen. Denn Pässe sind lebendige Kulturlandschaften mit unzähligen spannenden Facetten, sie wissen viel zu erzählen.

KNA: Der Tourismus in den Alpen wandelt sich: angefangen von der Infrastruktur – Basistunnel statt Passstraßen – bis hin zu der Umwelt als solcher, Stichwort Klimawandel. Was macht Ihnen Sorge – wo sehen Sie Positives im Vergleich zu früher?

Volken: Der Klimawandel zeigt sich ganz besonders an den höher gelegenen Pässen, erst recht, wenn man sie seit Jahrzehnten besucht. Die Gletscher schrumpfen, manche haben sich bereits verabschiedet, von anderen bleiben bloß kümmerliche Reste. Es ist augenfällig, und es ist manchmal zum Heulen.

Was den Verkehr angeht: Wo ein Tunnel gebohrt wird, verliert der eigentliche Pass seine ursprüngliche Bedeutung als Übergang. Er wird nur noch von Ausflüglern, Bergsteigerinnen und Romantikern besucht, was zu einer entspannten Urlaubsstimmung führt. Auf dem Pass halten alle an, verweilen, vertreten sich die Beine und genießen den Augenblick, vielleicht auch eine Bratwurst vom Grill – während man im düsteren Tunnel einfach nur möglichst rasch auf die andere Seite gelangen will, ohne zu ahnen, wie schön es auf dem Pass eigentlich wäre.

KNA: Gibt es etwas, das Sie bei den Wanderungen oder beim Fotografieren der Alpenübergänge überrascht hat, etwas vielleicht, das Sie vorher noch nicht wussten?

Volken: Früher fuhr ich in der Regel auf einen Pass, um von dort aus eine Wanderung oder Klettertour zu unternehmen. Die Pässe waren für mich also Ausgangspunkte. Für dieses Buch habe ich sie nun als eigenständige Ziele erkundet – und zu meinem Erstaunen entdeckt, dass man auf den alten Fußwegen oft alleine unterwegs ist, abseits von Lärm und Rummel. Im dreistündigen Aufstieg zur Furka sind mir nur Murmeltiere, weidende Kühe und eine Älplerin begegnet. Es war einfach schön, überraschend schön.

KNA: Welches ist Ihr Lieblingsort in den Alpen?

Volken: Grundsätzlich gefallen mir markige Landschaften. Steile Felswände, zerrissene Gletscher, wild gezackte Grate, weglose Täler. Wie im Wallis, im Nordtessin, in gewissen Ecken Graubündens, des Piemonts, der Lombardei und der französischen Alpen. Oder in den Dolomiten. Möglichst bei Wind und Wolken. Und natürlich Gebiete, die mit persönlichen Erinnerungen verbunden sind. Am liebsten streife ich durch die Denti della Vecchia, einem Klettergebiet oberhalb Lugano, wo ich aufgewachsen bin und in jungen Jahren die Leidenschaft für die Berge entdecken durfte. Für mich ein sagenhafter Ort!

KNA: “Stille Orte” heißt ein früheres Buchprojekt von Ihnen: Was hat es damit auf sich, und wie kam es dazu?

Volken: Viele Bauten im Alpenraum gehorchen ziemlich strengen architektonischen Mustern. Innerhalb einer bestimmten Region schauen die Wohnhäuser, Berghütten, Alpställe und Scheunen stets sehr ähnlich aus. Das hat auch seine Gründe: Der Baustil spiegelt die vorhandenen Baustoffe wie Holz oder Stein wider, die klimatischen Bedingungen und das tradierte handwerkliche Wissen vor Ort.

KNA: Und das ist bei den “Stillen Orten”, an denen sich Wanderer erleichtern können, anders?

Volken: Bei den WC-Häuschen, diesen rudimentären Klos etwas abseits der Hauptbauten, zeigt sich eine große kreative Vielfalt. Manchmal sind es abenteuerliche Gebastel aus rostigem Wellblech und ausrangierten Türen, manchmal liebevoll verzierte Holzhäuschen, manchmal eine umgenutzte Telefonkabine oder auch nur ein Sitzbalken mit Loch und Papierrolle hinter einem Felsbrocken. In einer Welt, die von vielen geschriebenen und ungeschriebenen Normen geprägt ist, zeugen diese Aborte von Erfindergeist und Wiederverwertung – also irgendwie von einer Kreislaufwirtschaft, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Diese Anarchie und Fantasie hat mich stets fasziniert.

KNA: War der Weg von der Faszination zum Buch weit?

Volken: Ich habe das gemacht, was ich in solchen Situationen immer mache: zur Kamera greifen und das Überraschende, im Kleinen wie im Großen, festhalten. Daraus ist dann fast von alleine ein Buch entstanden, ein paar Kalender und Ausstellungen in Museen. Witzig, nicht?