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Brot für die Welt

Am 1. Advent des Jahres 1959 fand in der Berliner Deutschlandhalle kein Sechstagerennen statt. Auch Holiday on Ice stand nicht auf dem Programm. Dennoch kamen mehr als 14 000 Menschen … Von Veit Hoffmann

Von Veit Hoffmann

Am 1. Advent des Jahres 1959 fand in der Berliner Deutschlandhalle kein Sechstagerennen statt. Auch Holiday on Ice stand nicht auf dem Programm. Dennoch kamen mehr als 14 000 Menschen. Die Leute blickten gemeinsam mit dem damaligen Berliner Bischof Otto Dibelius auf Blechtonnen, die in der Halle verteilt standen. „Da stehen die Tonnen“, rief er den Menschen zu. „Darin ist Milchpulver für hungernde Berliner aus Amerika gekommen“. Dann rief er die Zuhörer in der Halle und jene an den Fernseh- und Rundfunkempfängern dazu auf, die Tonnen mit ihren Spenden zu füllen. Er rief zu einem Dankopfer auf, damit es zu den Hungernden der Erde gehe. Dafür nannte der Bischof ein einziges Motiv: Die „Dankbarkeit dafür, dass uns geholfen wurde“.

Der 1. Advent 1959 ist die Geburtsstunde der Spendenorganisation Brot für die Welt.

24 Millionen Mark spendeten die Deutschen damals aus Dankbarkeit.

Alle Westberliner wussten, was sie den Hilfslieferungen in den Hungerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg verdankten. Das Blockadejahr 1948 war nicht vergessen, in dem die Berliner mit Hilfe der „Rosinenbomber“ überlebten. Deshalb füllten die Menschen die Tonnen mit ihren Spenden. Deshalb wurde hier in dieser Stadt die Hilfsaktion für Hungernde in aller Welt ins Leben gerufen.Inzwischen gehört Brot für die Welt zu Advent und Weihnachten wie Adventskranz, Herrnhuter Stern und Weihnachtsbaum.

In der Ausgabe 48 der Kirchenzeitung berichtete Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, dass noch heute jeder achte Mensch auf der Welt mit leerem Magen ins Bett geht. Unser Geschmackssinn hingegen hat sich verfeinert. Ricotta-Ravioli aus Umbrien. Schinken aus Parma, Entrecote mit Dijon-Senf. Brot ist verpönt, es macht angeblich dick. Dass fast eine Milliarde Menschen hungern, verdrängen wir.

Mir wird jetzt schon ganz anders wenn ich an die vielen Mahlzeiten während der Weihnachtstage denke: Gans, Klöse, Rotkohl, Salate, Häppchen, zwischendurch Kuchen und Dominosteine. Anschließend die schlimmen Offenbarungen im Bad auf der Waage – und die Löcher im Gürtel werden eine ganz eigene Weihnachtsgeschichte erzählen.

Was für ein sattes Land wir sind. Wir haben keine Ahnung, was Hunger ist. In unseren Müllsäcken liegen halb abgenagte Hühnerbeine, Reste von Pizza und Burgern, vergammelter Käse, angelöffelte Joghurtbecher. Eigentlich muss uns allen der Appetit vergehen.

Ich werde jedenfalls in den kommenden Wochen nicht gedankenlos durch den Supermarkt gehen nach dem Motto: Wenn du Appetit hast, greif einfach zu, lade alles in deinen Wagen. Schlicht aus Dankbarkeit dafür, dass ich nicht zu jenen gehöre, die die Welt um Brot bitten müssen.