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Brosius-Gersdorf verzichtet auf Kandidatur für Karlsruhe

Es war ein Verzicht mit Ansage. Im politischen Berlin hatte kaum noch jemand damit gerechnet, dass die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur für das Verfassungsgericht aufrecht erhält. Nun kam die Erklärung.

Sie wolle verhindern, dass sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitze und eine Entwicklung in Gang gesetzt werde, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar seien. So ließ die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf am Donnerstag durch eine Bonner Rechtsanwaltskanzlei verlauten. In dem Schreiben zieht sie ihre Kandidatur für ein Richteramt am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zurück. Damit findet ein unrühmliches Kapitel für die schwarz-rote Koalition vorerst ein Ende. Zwei weitere Kandidaten bleiben im Rennen. Und die SPD muss sich nun auf die Suche nach einem neuen Vorschlag machen.

Ein Rückblick: Ende Juni/Anfang Juli waren die Namen der drei Kandidaten für das höchste Richteramt in Deutschland durchgesickert. Eine von ihnen war die Potsdamer Juristin Brosius-Gersdorf. Zumindest all denjenigen, die im Jahr zuvor mit der von der damaligen Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Prüfung der Abtreibungsregelung befasst waren, sagte der Name etwas.

Die Kommission, der die Juristin angehörte, empfahl eine Liberalisierung der Abtreibungsregelung. Derzeit gilt in Deutschland: Schwangerschaftsabbrüche sind laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs rechtswidrig. In den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft bleibt eine Abtreibung aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt.

Brosius-Gersdorf war im Abschlussbericht der Kommission für das verfassungsrechtliche Kapitel verantwortlich. Schon damals hatte der darin enthaltene und nun so häufig zitierte Satz “Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt” in Kreisen von Union und bei der katholischen Kirche für Kritik gesorgt.

Umso erstaunlicher war es für politische Beobachter, dass der Wahlausschuss mit Unionsvertretern der von der SPD vorgeschlagenen Kandidatin zustimmte. Parallel zur Kritik aus Teilen der Union – hier sei etwa die Unionsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) für viele andere genannt – und zur Sorge, die Vertreter der katholischen Kirche äußerten, begann in rechtspopulistischen Medien eine wahre Hetzkampagne gegen die Juristin. Sie wurde als “Hardcore-Abtreibungsbefürworterin” verunglimpft, die eine Abtreibung auch noch einen Tag vor der Geburt befürworte. Dazu wurden andere politische Aussagen von ihr zitiert, etwa dass sie für ein AfD-Verbot eintrete oder während der Corona-Pandemie eine Impfpflicht befürwortet habe.

Auch die Töne einiger Bischöfe wurden schärfer. Der Bamberger katholische Erzbischof Herwig Gössl sprach etwa mit Blick auf die Personalie von einem “innenpolitischen Skandal”. Er entschuldigte sich aber später bei der Juristin und telefonierte mit ihr.

Letztlich scheiterte am 11. Juli die Wahl der drei Richter durch den Bundestag, der Punkt wurde von der Tagesordnung genommen. In den Reihen von CDU und CSU hatte ein Teil der Abgeordneten bekundet, nicht für Brosius-Gersdorf stimmen zu können. Dazu kamen just am Vorabend der Wahl veröffentlichte Plagiatsvorwürfe.

Brosius-Gersdorf selbst war es, die in der Talkshow “Markus Lanz” wenige Tage später einen möglichen Rückzug andeutete. Sobald die Debatte um ihre Person so groß werde, dass das Verfassungsgericht am Ende beschädigt werden könnte, könne sie sich einen solchen Schritt vorstellen. Sie wolle auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise, sagte die Juristin.

Mit ähnlichen Worten begründet sie nun den Verzicht auf ihre Nominierung. Und sie gibt weitere Gründe an: Ihr sei aus der Unionsfraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – in den vergangenen Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert worden, dass ihre Wahl ausgeschlossen sei.

Erneut verweist sie darauf, dass diese ablehnende Haltung aus ihrer Sicht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag stehe. Dort hätten sich die Koalitionspartner auf eine Prüfung der Kostenübernahme eines Abbruchs durch die gesetzliche Krankenversicherung verständigt. Eine solche Kostenübernahme sei allerdings nur möglich, wenn der Abbruch in der Frühphase rechtmäßig sei. Andere Experten bezweifeln wiederum, dass mit einer solchen Kostenübernahme auch eine Liberalisierung verbunden sein müsse.

Zwar bedauern SPD-Vertreter in ersten Statements den Rückzug ihrer Kandidatin. Intern – und vor allem in der Union – dürfte die Erleichterung aber groß sein. Kaum jemand mochte sich vorstellen, wie der Streit nach der Sommerpause weitergegangen wäre. So dürfte sich die SPD-Spitze in diesen Tagen bereits auf die Suche nach einem neuen Kandidaten oder einer neuen Kandidatin machen. Die Unionsspitze dürfte dann die Personalie sorgfältiger prüfen.