Brieffreundinnen auf Zeit

Handgeschriebene Post ist selten geworden. Ein Projekt des Frauenwerks der Nordkirche lässt die in Vergessenheit geratene Brieffreundschaft aufleben – in Kombination mit einem angesagten Spieletrend.

Handgeschriebene Briefe sind selten geworden
Handgeschriebene Briefe sind selten gewordenMartin Krok

Rostock/Lübeck. „Ein Brief ist etwas Wertvolles, ein richtiges Geschenk“, findet Dagmar Krok. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Johanna Gutowski leitet die Referentin im Frauenwerk der Nordkirche das Projekt „Und Du?“, das im September startet. Die Idee dahinter: Je zwei Frauen, die sich bis dahin nicht kennen, bilden ein Tandem und werden zu Brieffreundinnen auf Zeit.

Möglichst jede Woche schreiben sie sich, so richtig auf Papier, mit Umschlag und Briefmarke. Sie tauschen sich aus, erzählen voneinander – und fragen. 14-tägig gibt es dazu Impulse, über die sich die Frauen ihre Gedanken machen können, die sie in Worte fassen. Durch die Antworten lernen sie neue Perspektiven kennen, denn in den Tandems werden von den Veranstalterinnen bewusst jüngere und ältere Frauen zusammengebracht.

Kein Zugang

Das Bedürfnis, sich mit anderen Generationen auseinanderzusetzen, sei groß, stellt Dagmar Krok immer wieder fest. Ältere wollten sich an aktuellen Diskursen beteiligen, aber finden nicht immer den Zugang, zudem sei die Sprache heute eine ganz andere. Und Jüngere wollen vielleicht wissen, was die Generationen vor ihnen zu Entscheidungen, die auch heute noch Relevanz haben, bewegt hat.

In einem Escape-Room sollen sich die Frauen kennenlernen
In einem Escape-Room sollen sich die Frauen kennenlernenMartin Krok

„Es gibt so viele Fragen und Wünsche, aber wenig Gelegenheiten und Voraussetzungen dafür“, ergänzt Johanna Gutowski. Angelika Michelly hat sich für das Projekt schon angemeldet. „Es gibt so vieles in meinem Leben, was für mich lange selbstverständlich war“, meint die 33-Jährige. Selbst entscheiden zu können, Röcke oder Hosen zu tragen. Den Beruf frei zu wählen, allein über ein Konto zu verfügen. „Irgendwann wurde mir klar, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Mich interessiert, wie es sich anfühlte, wenn solche hart erkämpften Rechte das Leben erst verändern.“ Besonders spannend findet sie es dabei, sich mit unbekannten Frauen auszutauschen.

„Mut wächst!“

In den Impulsen, analog und digital vermittelt, geht es auch um Aspekte, die durch das Jahresthema der Frauenarbeit in der Nordkirche „Mut wächst“ entstehen. „Ein Impuls kann zum Beispiel die Frage nach einer Situation oder Geschichte sein, in der jemand besonders mutig war“, erklärt Dagmar Krok. „Vielleicht erinnert sich von den älteren Frauen jemand daran, wie sie für Rechte gekämpft hat – innerhalb der Frauenbewegung für ihre eigenen oder für die von anderen.“ Die Teilnehmerinnen entscheiden aber selbst, was sie schreiben.

Das altmodische Medium Brief ist nur ein Teil des Projekts, mit dem vor allem die älteren Teilnehmerinnen vertraut sind. Zum persönlichen Kennenlernen haben die Referentinnen einen Trend der jüngeren Generation aufgegriffen: einen „Escape Room“. Darin müssen die Spielerinnen in vorgegebener Zeit Aufgaben lösen und Hinweise finden, um aus einem geschlossenen Raum zu gelangen. „Entkomme dem Gender-Gap“ heißt diese Veranstaltung in Lübeck, die die Benachteiligung von Frauen früher und heute in den Blick nimmt und auch ohne Teilnahme am Briefprojekt besucht werden kann. „Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen als im Gespräch in einem Jahr“, hat der griechische Philosoph Platon gesagt. Das machen sich die Projektleiterinnen zunutze.
Das Projekt geht bis zum November 2020, Anmeldungen sind bis zum 28. August unter seminare@frauenwerk.nordkirche.de oder unter Tel. 0431 / 55779100 möglich.

Inke Pohl ist Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit im Frauenwerk der Nordkirche.