Dokumentation schildert demütigende Kinderkuren

Angst, Demütigungen und schwarze Pädagogik: In dieser Atmosphäre erlebten viele „Verschickungskinder“ im Nachkriegsdeutschland ihren Kuraufenthalt im „Adolfinenheim“ auf der Nordseeinsel Borkum. Evangelische Kirche und Diakonie haben am Dienstag in Bremen eine Dokumentation vorgelegt, die die teils dramatischen Zustände für die Kinder in der Einrichtung schildert. Es sei ein typisches von bundesweit damals schätzungsweise 1.000 Heimen unterschiedlichster Träger gewesen, sagte Jutta Schmidt als Vertreterin der Bremischen Evangelischen Kirche.

Kinderverschickungen waren zu jener Zeit ein Massenphänomen. Doch jahrzehntelang habe Stillschweigen über die millionenfache Verschickung von Kindern in deutsche Kurheime geherrscht, sagte Mitautor und Historiker Achim Tischer. Das Buch unter dem Titel „Zwischen Erholung und Zwang – Kinderverschickungen in das Adolfinenheim Borkum (1921-1996)“ durchbreche diese „Schweigeschicht“.

Über einen Zeitraum von 75 Jahren wurden bis 1996 etwa 90.000 Jungen und Mädchen aus vielen Teilen Deutschlands zur Erholung oder auch zur Therapie in das Adolfinenheim geschickt, unter anderem aus Bremen, Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Zu den Trägern des Hauses gehörten die evangelische Kirche und das Diakonissenmutterhaus in Bremen. Diakonissen aus der Hansestadt hatten über Jahrzehnte die Leitung.

„Ziel der Kur war es, die Kinder aufzupäppeln, weil sie in den Augen von Ärzten, Eltern oder Lehrern zu blass, zu dünn oder zu dick waren“, sagte Tischer. Doch für viele Kinder sei die oft sechswöchige Zeit auf Borkum traumatisierend verlaufen: „Statt der erhofften Erholung oder Genesung erlebten viele von ihnen lieblose Behandlung, Angst und gewaltsamen Zwang.“

Gründe dafür seien der kinderfeindliche erzieherische Zeitgeist in der Gesellschaft, aber auch das autoritär-patriarchale System gewesen, aus dem die Diakonissen gekommen seien, verdeutlichte Tischer und betonte: „Angst war das vorherrschende Gefühl.“ Jutta Schmidt ergänzte, Kirche und Diakonie wollten mit der Studie auch andere Träger ermutigen, die Geschichte ihrer ehemaligen Kinderkurheime zu dokumentieren.