Der Oberste Gerichtshof in Brasilien hat die Rechte indigener Gemeinschaften gestärkt. Mit mindestens sechs zu neun Stimmen haben die Richter eine Stichtagsregelung zur Auszeichnung von Schutzgebieten abgelehnt, wie die Nachrichtenagentur Agencia Brasil am Donnerstag berichtete. Die Abstimmung sollte noch bis in die Nacht andauern, aber eine Mehrheit gegen das Vorhaben, das seit Jahren von der Agrarlobby forciert wird, war bereits klar.
Die Stichtagsregelung (marco temporal) ist in einem umstrittenen Gesetz enthalten, wonach indigene Gemeinschaften nur noch Land beanspruchen dürfen, wenn sie beweisen können, dass sie bereits vor Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung im Jahr 1988 dort gelebt haben. Die Agrarlobby argumentiert, damit werde Rechtssicherheit hergestellt. Vertreter der indigenen Gemeinschaften hingegen sehen dadurch ihre Rechte verletzt, da viele ihrer Vorfahren beispielsweise während der Militärdiktatur (1964-1985) von ihrem angestammten Land vertrieben wurden und sie keine Chance auf Rückkehr hätten.
Bereits 2023 hatte das Oberste Bundesgericht den Grundsatz der Stichtagsregelung für verfassungswidrig erklärt und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte ein Veto gegen die Verabschiedung der entsprechenden Gesetzesvorlage eingelegt. Doch der Kongress kippte das Veto, wodurch das Gesetz erneut gültig wurde. Das Vorhaben ging nun erneut an den Obersten Gerichtshof, nachdem der Senat in der vergangenen Woche eine Verfassungsänderung verabschiedet hatte, die den Begriff enthält.
Die Regierung hat zuletzt die Vermessung und Auszeichnung von indigenen Gebieten vorangetrieben. Seit der Klimakonferenz in Brasilien im November gab es Fortschritte bei der Vermessung von 38 Gebieten mit einer Gesamtgröße von nahezu sieben Millionen Hektar. Ein Richter sprach sich am Donnerstag dafür aus, 158 laufende Vermessungsprozesse innerhalb von maximal zehn Jahren abzuschließen.
Das Projekt der Stichtagsregelung stammt aus der Zeit des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro (2018 bis 2022), der damit die wirtschaftliche Ausbeutung im Amazonas-Regenwald vorantreiben wollte. Mehr als ein Drittel aller Indigenen-Gebiete wären laut den Behörden davon betroffen. Mehr als 300 indigene Völker leben heute in Brasilien mit insgesamt 1,6 Millionen Angehörigen.