Am Spätnachmittag des 5. April 1943 wird Dietrich Bonhoeffer in das Untersuchungsgefängnis der Wehrmacht in Berlin-Tegel eingeliefert. Heute gehört der Gebäudekomplex zur Justizvollzugsanstalt Tegel (JVA). Er ist nicht mehr belegt. Das Gebäude erhielt während des Zweiten Weltkrieges schwere Bombentreffer und so ist Bonhoeffers Zelle heute im Original nicht mehr erhalten.
Nun eröffnet der Leiter der JVA Tegel, Martin Riemer, gemeinsam mit den Gefängnisseelsorgern Martin Kanzler-Stegmann und Matthias Spikermann am 26. September die Doppel-Ausstellung „Bonhoeffers Leben und Wirken“ (Plakate) und „Dietrich Bonhoeffers Zeit in Tegel“. Die Ausstellung geht auf eine Initiative der Gefängnisseelsorger zurück. Die animierte Audio- und Video-Dokumentation informiert umfassend über Bonhoeffer und sein Wirken. Sie ist für die Häftlinge nicht frei zugänglich. Sie müssen einen Antrag zur Besichtigung stellen. Das Interesse sei groß, sagt Martin Kanzler-Stegmann. Begleitet wird die Ausstellung von einem Konzert mit Siegfried und Oliver Fietz. Siegfried Fietz hat die bekannte Melodie zu Bonhoeffers Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ geschrieben. Regelmäßig singen die Häftlinge das Lied im Gottesdienst. Im November wird Christiane Tietz, Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), in der JVA sein und den Häftlingen von Bonhoeffers Zeit in Tegel erzählen.
Zustände am Anfang der Haft
Die Ausstellung ruft die Zeit zurück, in der Bonhoeffer als militärischer Untersuchungsgefangener einsaß und bleibende Texte wie die Tegeler Briefe verfasste. Die Haftbedingungen waren brutal. So war Bonhoeffer in den ersten zehn Tagen äußerst isoliert auf dem obersten Stockwerk im Gebäude eingeschlossen worden. Die Decken auf der Pritsche sollen bestialisch gestunken haben. Es soll Bonhoeffer trotz der Kälte nicht möglich gewesen sein, sich damit zuzudecken. Brot wurde ihm auf den Boden geworfen. Der Kaffee enthielt nur zu einem Viertel Kaffeesatz. Als Bonhoeffer mit den anderen Gefangenen anzutreten hatte, mussten sich alle Beschimpfungen anhören. Bonhoeffer selbst wurde dabei nach seinem Haftgrund gefragt. Als er sagte, er kenne diesen nicht, sagte ein Schließer höhnisch: „Den werden Sie schon bald genug erfahren!“ Erst nach einem halben Jahr wurde er ihm mitgeteilt: Wehrkraftzersetzung.
Interessanterweise wurde er nicht wegen Landes- oder Hochverrat angeklagt, sondern die Verhöre drehten sich mehr um seine Unabkömmlichkeitsstellung seit Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die Freistellung war an sich nur wenigen Fachkräften vorbehalten, die in der Kriegswirtschaft als unabkömmlich galten. Sie existierte noch weniger für Theologen – Bonhoeffer hatte eine erhalten. Ein Hinweisschild war bei Bonhoeffers Zelle angebracht, das jeden Kontakt mit dem Gefangenen ohne besondere Genehmigung verbot. Bonhoeffer in seinem Bericht: „… ich war auf der Abteilung für die schwersten Fälle untergebracht, wo die zum Tode Verurteilten und an Händen und Füßen Gefesselten lagen: Der U.-Häftling wird bereits als Verbrecher behandelt.“
Begegnungen, die nachhallen
Doch Bonhoeffers Schicksal erfuhr eine wenigstens gelinde Wendung: Seine verwandtschaftlichen Bezüge zu seinem Onkel, dem Stadtkommandanten von Berlin, Paul von Hase, der auch für die Wehrmachtsuntersuchungsgefängnisse (W.U.G.) zuständig war, werden schon bald bekannt. Bonhoeffer hat vermutlich deshalb einen Haftbericht abgefertigt, um dem Onkel die wahren Verhältnisse zu schildern. Bonhoeffer wurde in eine geräumige Zelle, Zellenblock 25, Zelle 92, verlegt. Durch vergitterte Fenster sieht man sie heute noch. Treppen aus Stahl, überall Gitter und abgehängte Drahtgeflechte. Diese Zelle Bonhoeffers wurde täglich gereinigt. Bei den Essensrationen sollte Bonhoeffer größere Portionen bekommen. Er lehnte das aber ab, weil das nur zu einer Reduzierung der Mahlzeiten der anderen Gefangenen geführt hätte.
Der Kommandant des Wehrmachtsuntersuchungsgefängnisse Tegel, Hauptmann Walter Maetz, holte ihn gelegentlich für die täglichen Freigänge im Gefängnis ab. Von da an änderte das Personal ihm gegenüber das Verhalten „durch ausgesuchte Höflichkeit“. Selbst der Stadtkommandant besuchte ihn einmal und sie tranken Champagner und redeten fünf Stunden lang. Nun erinnert die neue Ausstellung an Bonhoeffers Haft und sein Vermächtnis. Beim Aufbau hat sich einer der Gefangenen besonders engagiert. Er ist im Haus Insassenvertreter und mit den Verhältnissen im Haus gut vertraut. „Bonhoeffer ist ein Vorbild“, sagt er: „Wenn man über ihn nachdenkt, stellt sich mir die Frage Bonhoeffers: ‚Wer bin ich?‘“
Seelsorgearbeit im Gefängnis
Als Gefängnisseelsorger bezeichnet sich Matthias Spikermann als „nicht staatlich Handelnder in einer staatlichen Einrichtung“. Er schreibe keine Beurteilungen über die Strafgefangenen, könne aber jederzeit um Gehör für die Lage eines Gefangenen bitten. „Unser Handeln ermöglicht Freiräume.“ Der Kontakt zu den Häftlingen kommt durch Anfragen auf Zetteln zustande: Darauf steht zuallermeist: „Ich bitte um ein Gespräch mit der Seelsorge/dem Pfarrer oder um ein Gespräch mit meiner Familie im Pfarrbüro.“ Auch: „Ich möchte mit dem Pfarrer Schach spielen.“ In der Regel wird dann der Betroffene in die Diensträume des Pfarrers, einem geschützten Raum gebracht.
In der Vollzugsanstalt verantwortet Claudia Kardinal die Öffentlichkeitsarbeit. Sie stellt die Fotos für diesen Beitrag zur Verfügung. Denn Fotografieren ist fast ausschließlich ihr erlaubt: Mitarbeitende und Gefangene abzubilden ist tabu, dafür braucht es eine gesonderte Einverständniserklärung. Sie begrüßt die Initiative der beiden Pfarrer zur Ausstellung über Bonhoeffer: „Ja, die Gefangenen werden sich mit dem Theologen identifizieren können. Denn sie sind in zum Teil baugleichen Hafträumen untergebracht. Sie werden bestimmt auch über die heutigen Haftbedingungen nachdenken, die doch weitaus humaner sind. Wichtig ist ihr zu sagen: ‚Wir sind nicht zum Strafen hier.‘ Für viele Gefangene sei die lange Dauer des Freiheitsentzugs schwierig, aber viele Bedingungen des humanen Strafvollzugs machten es heute doch ab und an leichter.
Vom Rechtsstaat zur historischen Einordnung
Martin Riemer, der Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel, ist seit mehr als 12 Jahren hier im Dienst. Er setzt die Zeit des Wehrmachtsuntersuchungsgefängnisses 1943 klar im Kontrast zu heute ab: „Der Primat des Rechtsstaats gilt hier. Die uns anvertrauten Männer können alle unsere Maßnahmen und Entscheidungen gerichtlich überprüfen lassen.“ Damals sei alles anders gewesen: Vielen Untersuchungsgefangenen habe die Todesstrafe gedroht. Andere wurden direkt im Anschluss an ihre Inhaftierung in Tegel ins Konzentrationslager gebracht.
Die Ausstellung wird bis zum 6. November im Haus III. der Justizvollzugsanstalt Tegel, Seidelstraße 39 nach vorheriger Anmeldung unter al.vz@jvatgl.berlin.de zu sehen sein. Am 7. November, 18.00 Uhr, spricht die Kirchenpräsidentin der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Honorarprofessorin Dr. Christiane Tietz, in der JVA Tegel über Dietrich Bonhoeffer.
27. September: 19 Uhr: „Von Guten Mächten“ – Konzert anlässlich des 80. Todestages von Dietrich Bonhoeffer. Siegfried Fietz und Oliver Fietz bringen Bonhoeffers Texte zum Klingen. Apostel-Petrus-Kirche, Wilhelmsruher Damm 161, Berlin-Tegel. Eintritt: frei.
